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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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17. Heft
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Rittland, Klaus: Die Ehen des Herrn von Brenkhusen, [12]
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0495
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des JUerm r»on jgren^usen.
Von Klaus Rittland (Elisabeth Heinroth).

[Fortsetzung.]
kleine Mienenspiel zwischen Annelise und dem Hausherrn
tr nicht unbemerkt geblieben. Der junge Bildhauer, so sehr
allzeit mit sich selber beschäftigt schien, beobachtete scharf.
„Wie ein Ehepaar, das sich durch ein Wimperzucken miteinander
verständigt,“ dachte er, „Vorhin, um uns vorzusingen, war sie ihm zu gut,
das Spielen erlaubt er. Ob die Beiden ....
Die Vorstellung, daß dieser kühl lächelnde Oberpräsidialrat mit den
graumelierten Haaren und diese interessante Frau eines verblödeten
Schwerkranken vielleicht in sehr nahen Beziehungen zueinander stehen
könnten, weckte in dem jungen Künstler eine Empfindung, die ihn wunder-
lich froh und leicht stimmte.
Vieles erschien in so neuem Lichte —
Die Dinge wechselten ihre Gestalt, unter einer neuen Perspektive
gesehen.
Hoffnungen tauchten auf, rosige, helle, süße tolle Hoffnungen.
Müller-Geffky war, bei all seinem Übermut, im Grunde ein an-
ständiger Kerl.
Er hatte sich wahnsinnig in die schöne junge Frau von Brenkhusen
verliebt, aber bis zur Stunde war ihm seine Leidenschaft noch aussichts-
los erschienen — ein Gefühl, das man kurz im Zügel halten mußte —,
die schöne Frau sprach immer so respektvoll von ihrem Mann, der Ton
genierte ihren feurigen Bewunderer.
Vielleicht verdiente der Ehemann diesen kindlichen Respekt gar
nicht? Vielleicht. Die leichtbeschwingte Phantasie des jungen
Künstlers eilte dahin über Klippen und Abgründe in ein köstliches
Sonnenland.
„Es wird Zeit, zu gehen,“ sagte Annelise, auf ihre Uhr blickend.
„Aber“, wandte sie sich an Fanny, „vorher möchte ich noch einem Blick
auf die Kleine werfen, darf ich in das Schlafzimmer hineingehen?“
„Aber recht leise,“ bat Fanny, „damit sie nicht aufwacht; sie war
heute so quarrig, daß ich sie schon am Nachmittag ins Bett gesteckt
habe. Wohl eine kleine Erkältung.“
„Bleiben Sie nur bei Ihren Gästen, ich finde den Weg allein.“
Annelise ging hinaus.
Fünf Minuten später aber kehrte sie zurück und kam mit ernster
Miene auf ihren Freund zu: „Brenkhusen, Sie müssen gleich zum Arzte
schicken. Das Kind hat hohes Fieber.“
Bestürzt folgte ihr das Ehepaar in das Schlafzimmer.
Mit glühendrotem Köpfchen, wirre Reden ausstoßend, warf sich die
Kleine auf ihren Kissen hin und her.
„Sie hat sich halt den Magen verdorben. So Kinder kriegen ja
leicht hohes Fieber,“ suchte Fanny sich und die andern zu trösten.
Aber ihr Mann war heftig erschrocken.
„Sofort muß jemand den Doktor rufen.“
Annelise blieb bei dem Kinde, während Brenkhusen und Fanny ihre
Gäste verabschiedeten.
„Es wird ja sicher nichts weiter sein,“ meinte Frau Kollmann, „aber
wie schade — gerade heute!“ Sie hatte sich auf noch mindestens zwei
vergnügte Stunden eingerichtet. Im Hause Kollmann galt es für Ehren-
sache, nie vor dem Morgendämmern auseinanderzugehen.
Annelise verlebte bange Minuten allein neben dem Bettchen des Lieb-
lings. Wie kam nur diese herzlähmende Angst über sie? Die junge
Mutter hatte ja ganz recht: Kinder haben leicht hohes Fieber.
Sehr bald, nachdem die Lichter in den Gesellschaftsräumen erloschen
waren, erschien der Arzt. Er untersuchte.
Und drei Augenpaare hingen ängstlich an seinen Zügen.
Die Gründlichkeit der Untersuchung ließ Schlimmes ahnen.
Und er sprach das Wort aus, das sie zu hören bangten: Diphterie.
Ein kurzes, entsetzes Schweigen.
Dann fragte Annelise dringlich, gleichsam beschwörend: „Aber könnte
es nicht doch vielleicht nur eine heftige Angina sein? Wo sollte sich

Copyright 1913 by Rieh. Bong.
das Kind denn nur angesteckt haben? Es kommt ja gar nicht in Be-
rührung mit andern Kindern.“
„Vielleicht doch“, sagte Brenkhusen. „Wo ist Martha?“
„Sie hilft in der Küche.“ Fanny war ganz bleich geworden; sie
hatte ein schlechtes Gewissen.
Martha wurde herbeigeholt und einem scharfen Kreuzverhör unter-
worfen. Anfangs leugnete sie. Dann gestand sie endlich heulend ein:
„Nur ein einziges Mal vorige Woche sind wir bei uns zu Hause gewesen.
Meine Schwester war krank; sie hatte es so im Halse. Man kann doch
wohl noch mal nach seinen kranken Geschwistern sehn!“
„Morgen früh verlassen Sie das Haus“, sagte Brenkhusen kurz.
Der Arzt gab seine Anweisungen und ging dann mit dem Ver-
sprechen, morgen in aller Frühe wiederzukommen.
Annelise blieb noch zurück.
Gern hätte sie gebeten, bei dem Kinde wachen zu dürfen. Aber sie
wollte nicht in die Rechte und Pflichten der andern eingreifen.
Fanny stand mit gesenktem Haupte, die Hände ineinander ver-
krampft, neben dem Kinderbett; sie glich einer überführten Verbrecherin.
„Also doch wieder deine Pflicht gegen das Kind versäumt!“ sagte
Brenkhusen mit harter, böser Stimme. „Nun trage die Folgen.“
„Curt, du tust ja, als ob ich daran schuld wäre. Wo ich es ihr doch
so streng verboten hatte. Ich kann doch nichts dafür, Curt.“
Schluchzend sank sie neben dem Bettchen nieder. Annelise suchte
sie zu trösten. Noch konnte ja alles gut werden. Das Kind hatte eine
widerstandsfähige Natur.
Dann nahm sie Abschied, mit schwerem Herzen. Curt geleitete sie
hinaus. „Das durften Sie ihr nicht sagen, Brenkhusen,“ warf sie dem
Freund in ernstem Tone vor, „nicht in dieser Stunde. Was für eine
furchtbare Last haben Sie ihr damit auf die Seele gelegt.“
Brenkhusen erwiderte kein Wort.
Sie verlebten eine bange Nacht.
Bis gegen Morgen wachte das Ehepaar an dem Bettchen des kranken
Kindes.
Curt redete seiner Frau zu, sich niederzulegen. Aber sie schüttelte
finster den Kopf.
Nachdem der erste Schrecken überwunden war, wies sie innerlich
den Gedanken einer Lebensgefahr weit von sich. Unzählige Kinder er-
kranken an der Diphtherie und werden wieder gesund. Der Hausarzt
war ein alter Wichtigtuer und Curt nur allzu bereit, ihr eine Schuld zu-
zuschieben.
Ein heftiger Groll gegen ihren Mann ergriff sie. Nun, er sollte
sich nicht mehr über ihre Nachlässigkeit, zu beklagen haben. Tag und
Nacht wollte sie am Krankenbette bleiben. Sie wollte sich selber krank
machen. So lange sich aufopfern, bis sie zusammenbrach. Dann würde
er seine Härte bereuen.
Aber als der Morgen graute, lag sie zusammengekauert in der Sofa-
ecke und schlief, fest und gesund. Einmal sah Curt, wie sie im Traume
lächelte. Ein junges Menschenkind, das noch nie ein Leid erlebt hat,
das nicht glauben kann, nicht glauben will an das Leid.
XV.
Es kamen drei schwere Tage, Tage herzlähmender Angst, die nur
manchmal durch einen schwachen Hoffnungsschimmer unterbrochen
wurden. Und in der vierten Nacht erlosch nach hartem Todeskampfe
das kleine, kostbare Leben — dieses Leben, das von seinem ersten Auf-
blühen an nur Freude, Sonnenschein, Glückspende gewesen war.
Fanny glich einer Rasenden vor Schmerz. Laut schreiend warf sie
sich über das Bettchen und weinte und jammerte und wollte das Kind
nicht hergeben.
Wie ein Tier, dem man sein Junges rauben will.
Ein starker, elementarer, ungezügelter Schmerz.
 
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