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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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17. Heft
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Rittland, Klaus: Die Ehen des Herrn von Brenkhusen, [12]
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0496

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MODERNE KUNST.

21 I

„Du weißt ja nichts davon. Ach, wie kann denn ein Mann das
fühlen! Das fühlt nur eine Mutter. Du bist alt und ruhig. Ich aber —
ich kann es nicht ertragen. Ich kann nicht weiterleben. Ich will nicht
weiterleben!“ So jammerte sie, da ihr Mann sie in den Arm nahm und
ihr Mut zusprechen wollte.
Endlich aber war das Maß ihrer Leidefähigkeit voll. Tieferschöpft
sank sie in einen langen Schlaf.
Und es war, als ob sich in dem ersten furchtbaren Anstürme die
Kraft ihres Schmerzes gebrochen hätte.
Sie weinte seitdem nur still vor sich hin.
Und am Begräbnistage betrachtete sie mit Interesse die vielen herr-
lichen Blumenspenden und merkte sich, wer die schönsten Kränze ge-
schickt hatte.
Curt Brenkhusen besorgte alle die traurigen Dinge, die besorgt
werden mußten, scheinbar mit ruhiger Gelassenheit; aber es war, als ob
er sich ohne das Triebrad einer lebendigen Seele bewegte.
Starr, fast gleichgültig erschien er Fremden. Und etwas Starres
hielt seine Seele gefangen.
Seltsam leer war es in ihm. Als ob der Tod sich über ihn selber
herabgesenkt hätte und alles Gefühl, auch den Schmerz, in Banden
hielte.
Gegen Mittag sollte der Sarg geschlossen werden. Brenkhusen trat
in das Zimmer, wo die kleine Leiche aufgebahrt lag, einen letzten Blick
auf die geliebten Züge zu werfen.
Niemand außer ihm war in dem blumenerfüllten Raume. Hell und
freundlich schien die Mittagssonne herein, auf das Gesicht des toten
Kindes,
Der Vater beugte sich über den Sarg. Da prallte er entsetzt zurück.
Scharf und deutlich zeichneten sich in dem wachsbleichen Gesichtchen
rote Spuren ab; die Kratzwunden, die das Kind sich selber in der Er-
stickungsnot beigebracht hatte. So deutlich waren sie nie vorher sicht-
bar gewesen. Und Curt Brenkhusen wurde von einem Jammer ergriffen,
der ihm heiße Tränen in die Augen trieb. Keine wohltätig lösenden
Tränen; sie brannten wie glühendes Blei. Nie glaubte er noch so Ent-
setzliches gesehen zu haben, wie diese stummen Zeugen überstandener
Qual. Wie ein Llohnlachen erschien ihm der helle Sonnenschein, ein
Hohn diese Aufbahrung unter Blumen.
Das Menschenschicksal eine böse, feindliche Macht — etwas Ver-
ruchtes. Und er selber hatte teil an dieser Schändlichkeit. Einem Ge-
schöpfe das Leben zu geben — und dann dieses gute, süße, schuldlose
Geschöpf dem grausamen Würger ausliefern, dem qualvollen Tode.
Hätte das arme Wesen begreifen können — es würde denen geflucht
haben, die ihm dieses Leid angetan.
Brenkhusen hörte, wie sich die Tür öffnete und leise Schritte näher-
kamen. Ohne hinzusehen, wußte er, daß es Annelise war.
Sie neigte sich über den Sarg und legte der kleinen Leiche einen
Veilchenstrauß in das Händchen.
Curt wies auf die schrecklichen Stellen im Gesicht.
„In ihrer Angst hat sie das getan.“
Annelise preßte den Mund fest zusammen. Aber sie konnte das
Schluchzen nicht unterdrücken.
„Daß so etwas geschehen kann,“ sagte Curt leise, mit erstickter
Stimme, „das Leben ist furchtbar.“
Lange Zeit stand Annelise schweigend neben ihm.
Dann sagte sie sehr sanft -— fast Heiterkeit klang durch ihren Ton:
„Nun hat sie überwunden. Nun ist alles ewiger Frieden. Wenn man
sich das so sagt: das Schlußwort allen Jammers, der Ausklang ist doch
— Frieden. Dieser Gedanke läßt uns alles ertragen.“
Ganz leise, behutsam, als fürchtete sie, seinem großen Schmerze zu
nahen, legte sie ihre Hand auf die seine.
Und es war, als ob kühle, dunkle Wasser heranwogten und sich er-
gössen über sein brennendes Weh.
Er dankte es ihr, daß sie keinen andern Trost zu Hilfe rief, nur
diesen ganz schlichten, der keine Forderungen stellt an sittliche oder
geistige Mächte, die manchmal in der schwersten Stunde versagen —■ —
nur dieses anspruchsloseste Trostwort: endlich Friede, der einzig sichere
T rost

So stand er Hand in Hand mit der Freundin und nahm Abschied
von seinem Kinde.
Dann kam jemand herein und fragte, ob er nun den Sarg schließen
könnte. — — —-
Dumpf und trübe schlichen die Wintermonate in dem stillgewordenen
Brenkhusenschen Heime dahin.
Es war nicht nur die Stille der Trauer, die auf ihm lastete — noch
ein anderes, ein zweites Hinsterben, Hinwelken ging durch das ver-
armte Haus.
Wenn eine Kluft sich aufgetan hat zwischen zwei Menschen, die sich
einmal lieb gehabt haben, wenn ohne bösen Willen, nur als natürliche
Folge innerlicher Verschiedenheit, ein Entfremden zwischen ihnen ein-
getreten ist, dann mag es wohl geschehen, daß das Schicksal als Arzt
auftritt und durch einen großen Schmerz die Seelen wieder zusammen-
führt.
Im Eheleben Curt Brenkhusens erfüllte der Schmerz nicht diese seine
schönste Mission.
Zu Anfang wohl, als noch die Wunde frisch war und Fanny sich
manchmal weinend zu ihrem Manne flüchtete und von ihm Flalt und
Trost verlangte, da kamen wohl Stunden näheren Zusammenrückens,
Versuche, das Leid gemeinsam zu tragen; aber es blieben weiche Stim-
mungen ohne Kraft und Tiefe, Wellen, die bald wieder zerflossen. —
Vielleicht war bei Fanny der Wille, sie festzuhalten, ehrlicher als bei
ihrem Manne. Sie fühlte sich abhängiger von ihm, jetzt in der stillen,
einsamen Zeit, sie fühlte wohl auch, daß sie manches wieder gut zu
machen hatte, und ihre junge, einfache Seele war willig zur Aufnahme
aller guten Geister.
Aber sie erkannte bald — nur allzu deutlich empfand sie es —, daß
ihr guter Wille nicht ausreichte, den niedergerissenen Bau wieder auf-
zurichten; zu sehr war sie ihrem Manne schon eine Fremde geworden,
die neben ihm herging und nicht teil hatte an seinem inneren Leben.
Nur Mitleid und Pflicht legten ihm die guten Worte in den Mund, die er
ihr sagte. Das fühlte sie wohl heraus. Sie tat ihm leid, und dennoch:
das andere Empfinden war stärker in ihm, das in seiner Seele sich fest-
bohrte, immer tiefer, unvertilgbarer: ein Groll, der schon in Abneigung
überging.
Nie wieder hatte er seit dem Tode des Kindes den furchtbaren Vor-
wurf ausgesprochen, den er ihr entgegengeschleudert hatte an ihrem
Geburtstagsabend. Aber in seinem Innern fraß der Gedanke sich ein wie
ein giftiger Pilz und vernichtete den schwachen Rest, der noch von
seiner Liebe geblieben war.
Und einmal kam doch der Augenblick, da der Gedanke wieder laut
wurde — —
Fanny sprach von Müller-Geffky und ihrer Büste: das Modell war,
nicht ganz vollendet, auf die Ausstellung geschickt worden und hatte sehr
lobende Anerkennung gefunden.
Brenkhusen runzelte die Stirn. „Diese unselige Büste!“
Erschrocken sah sie auf.
„Was willst du damit sagen?“
Er zögerte eine kurze Weile. Dann stieß er hart hervor: „Daß es
ein unglückseliger Tag war, an dem ich meine Einwilligung zu dieser
Sache gab. Sie trägt die Schuld, daß du deine Pflicht vergessen hast,
die Schuld an unserm Unglück.“
„Curt!“ schrie sie auf. „Curt, sage das nicht.“ Die Tränen stürzten
ihr aus den Augen. „Aber das ist ja entsetzlich. Also ich — ich trage
die Schuld am Tode meines Kindes? Ich, wo ich’s doch so geliebt habe,
so wahnsinnig geliebt. O, Curt, das ist schlecht von dir.“
Schluchzend brach sie zusammen.
Und er fühlte, daß er ihr ein Unrecht zufügte. Wer konnte mit
Sicherheit feststellen, wo sich das Kind den Todeskeim geholt? Und
war das arme Weib nicht hart genug gestraft für seinen Leichtsinn?
Er suchte zu begütigen.
Aber sie war zu tief getroffen.
In dieser Stunde erkannte sie die traurige Wahrheit: Etwas stand
zwischen ihnen, das eine feste Scheidewand aufrichtete, etwas, das noch
nicht Haß war, aber einmal Haß werden mußte. Von nun an suchte sie
keinen Halt mehr bei ihrem Manne.

[Fortsetzung folgtj
 
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