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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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17. Heft
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Das Flugzeug im Kriege
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0502
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MODERNE KUNST.

Oos Flugzeug
(Tn
fas Flugzeug hat, trotzdem cs erst
kurze Zeit besteht, schon in meh-
reren Kriegen eine Rolle gespielt. Doch
haben,die Flieger bisher nur meist Auf-
klärungszwecken gedient und nur selten
Angriffe mit Bomben unternommen. Zu
einem Zusammenstoß feindlicher Luft-
fahrzeuge in den Lüften ist es bisher
noch nicht gekommen, obwohl erst ein
solches Zusammentreffen den eigent-
lichen Krieg in den Lüften bedeuten
würde. Einstweilen beschäftigen sich
phantasievolle Gemüter damit, einen sol-
chen Zukunftskrieg zu malen und die
Leser damit in Schrecken zu versetzen.
Auch die seltsamsten Mittel wurden
schon vorgeschlagen, die man in einem
solchen Kriege anwenden könnte. So
beschäftigte man sich vor einiger Zeit
in Frankreich mit dem Problem einer
Luftverdunklung im Luftkriege, um die
Aufklärung durch Luftfahrzeuge zu unter-
binden. Das Rezept hierfür ist angeb-
lich sehr einfach. Um den Gegner zu
blenden, soll der Flieger sehr feine
„Gewebefasern“ auswerfen, wobei er
von seiner Artillerie unterstützt werden
kann. Denn auch vom Erdboden aus
sollen die Geschütze „Gewebefaser-
bomben“ in die Atmosphäre werfen, die
in einer gewissen Höhe explodieren,
ohne die Fasern zu verbrennen. Dadurch
soll in den Lüften eine Art Netz ent-
stehen, das die Sehkraft der feindlichen
Flugzeuge ausschaltet. Mit 1000 kg dieser
Gewebefasern kann man zwei Millionen
Raummeter Luft undurchsichtig machen.
Aber auch schwarzer Rauch soll dazu
dienen, Erkundungen durch die Atmo-
sphäre zu erschweren. Mit einem Gramm
einer bestimmten Substanz kann man 100 Raummeter Luft verdunklen. Mit
100 kg wäre also ein F lieger in der Lage, zehn Millionen Raummeter in Finsternis
zu hüllen. Zwanzig Flugzeuge, die in gleicher Höhe operieren, können auf diese
Weise eine 4 Kilometer lange und 50 Meter dichte Rauchwolke erzeugen, die
jede Orientierung aus größeren Höhen unmöglich macht. Ähnlich phantastisch
muten die Mordwerkzeuge an, die sicheren Tod und Verderben bringen sollen.
Da sollen Fallschirmgranaten als Geschosse an einem Fallschirm befestigt werden
und ganz langsam durch die Lüfte gleiten. Wenn eine feindliche Flugmaschine
mit den weitausgespannten feinen Drähten dieser schwebenden Bombe in Be-
rührung kommt, gleitet automatisch ein Draht gegen die Granate, die sich nun
in den Lüften entzündet und im weiten Umkreis alle Flugzeuge oder Luftschiffe
vernichtet. Eine andere, nicht weniger furchtbare Waffe bilden Pfeile, dünne
Metallstäbchen, die kaum die Dicke einer Stricknadel aufweisen. Sie sind kalt
gehämmert, laufen in eine feine Spitze aus und können bei einem Fall aus
größerer Höhe Tod und Verderben säen. Ein solcher dünner Pfeil von etwa
50 cm Länge und 1 cm Durchmesser besitzt bei einem Sturze aus einer Höhe
von 500 m die Kraft, einen Menschenkörper vollkommen zu durchdringen.
Aber der Flieger soll noch kleinere Pfeile mit sich führen, Nadeln von 10 cm
Länge, die dafür ein wenig dicker sind, alles in allem aber kaum ein Gramm
wiegen. Ein Flugzeug, das 200 Pfund dieser Pfeile mitführt, würde dann
100000 dieser gefährlichen Projektile besitzen, um sie je nach der Geschwindig-
keit des Fluges mit einer Schnelligkeit von 50—350 Pfeilgeschossen in der Minute
zum Erdboden hinabsenden zu können. Wenn der Flieger mit 35 Sekunden-
metern Schnelligkeit durch die Lüfte saust, braucht er zur Entladung seiner
100000 Metailpfeile nur 4 Minuten 45 Sekunden.
Das Vergnügen an der Lektüre dieser Phantastereien ist entschieden größer
als ihre Gefährlichkeit. Der wahre Wert des Flugzeugs im Kriege besteht aber
keineswegs in der Herstellung solcher phantastischer Schleier. Es hat vielmehr
seine Schuldigkeit getan, wenn es den Beobachter sicher über die feindlichen
Truppen getragen hat, so daß die gewünschten Aufklärungen hergestellt werden
können. Aus diesem Grunde müssen Flugzeuge im Kriege so hoch fliegen, daß
sie nur ein kleines und ungünstiges Ziel bieten. Auch ist es vielleicht möglich,
den Führer und den Motor von unten her durch eine leichte Panzerung zu
schützen. Allerdings darf man auch annehmen, daß in künftigen Kriegen die
Flugzeuge einander angreifen, und daß sie besonders auf Luftschiffe Jagd

im t^piege.
zu machen haben werden. Zu diesem
Zwecke sind schon jetzt Angriffsflug-
zeuge mit Gewehren oder kleinen Ka-
nonen und Bombenwurfvorrichtungen
versehen worden.
Bleiben wir in der Wirklichkeit, die,
wie bereits erwähnt, schon von einer
Anwendung von Flugzeugen im Kriege
zu berichten weiß! So benutzten die
Amerikaner Doppeldecker zur Über-
wachung der mexikanischen Grenze, als
in Mexiko 1911 der Bürgerkrieg aus-
brach, und 1914 versahen sich beide Par-
teien mit Flugdrachen, die einander aus-
spionierten. Im italienischen Feldzug in
Tripolis, im Balkankrieg, in Marokko,
überall wurde das Flugzeug verwendet
und die Kriegserlebnisse der Flieger, die
einen Feldzug in der Luft mitmachten,
gehören zu den interessantesten Aben-
teuern. Im Balkankriege spielten die
Flugzeuge eine wichtige Rolle als Auf-
klärungsmittel, während sie als Angriffs-
waffe nur weniger verwandt wurden.
So unternahm von San Stefano bei Kon-
stantinopel aus der deutsche Flieger
Scherff mit dem türkischen Beobachtungs-
offizier Kemal Bei auf einem D. W. J.-
Doppeldecker einen Erkundigungsflug
nach Tschorlü, wobei die Stellung der
bulgarischen Streitkräfte genau festge-
stellt wurde. Der Flug, der um l/i7 Uhr
morgens begann, dauerte 4 Stunden und
2 Minuten und war der längste Kreisflug,
der bisher ausgeführt worden war. Der
in bulgarischen Diensten stehende russi-
sche Volontär Sakoff führte über Janina
Flüge aus, wobei er auch Bomben ab-
warf. Einmal wurde sein Flugzeug von
fünf Kugeln erreicht, die aber keinen
wichtigen Teil trafen. Trauriger erging es dem serbischen Sergeanten Michael
Petrovic, der einen Rekognoszierungsflug über den Werken von Skutari machte.
Sein Zweidecker flog in einer Höhe von ungefähr 1200 m, als er sich plötzlich
überschlug, zu Boden stürzte und Petrovic unter seinen Trümmern begrub. Die
Ursache des plötzlichen Absturzes konnte nicht festgestellt werden, da sowohl
der Apparat wie die Leiche total zerschmettert waren. Man vermutet, daß der
Flieger, von einem feindlichen Geschoß getroffen, das Steuer losließ und der
führerlose Apparat abstürzte.
Kühne Flüge über die Dardanellen hat der griechische Militärflieger M utu ssis
vollbracht. Er stieg mit einem Flugboot von der Bai von Mudros auf I.emnos
auf und überflog die Dardanellen, wobei er bis zum Kap Nagara vordrang.
Hier ließ er auf das türkische Arsenal vier Bomben fallen, die aber keinen
Schaden anrichteten. Nach anderthalbstündigem Fluge kehrte Mutussis wegen
Motordefekts um und landete auf einem griechischen Kriegsschiff. Der griechische
Torpedojäger „Velos“ fuhr dem Wasserflugzeug eine Stunde voraus. Der Flieger
erklärte an Bord, der Flug habe jede Erwartung übertroffen. Er hätte zweimal
die Halbinsel Gallipoli im Zickzack gekreuzt und die türkischen Stellungen leicht
erkennen können. Die Halbinsel sei ihm wie ein ungeheures Waffenarsenal
erschienen. Der Flieger erreichte die Halbinsel bei Kap Suwla, passierte die
Stadt Maidos und überflog die Dardanellen zweimal. Als er sich über Nagara
befand, konnte Mutussis mit dem Feinrohr sich über die feindliche Festung
orientieren, auch über die bei Nagara versammelte türkische Flotte konnte der
Flieger Feststellungen machen. Der Flug dauerte rund zwei Stunden und dehnte
sich über 180 km aus.
Die Geschichte des Russen Kostine, der bei Adrianopel wider Willen
landen mußte und gefangen wurde, weil er in bulgarischen Diensten stand, ist
ebenfalls recht interessant. Kostine hatte schon zwei F'lüge über Adrianopel
unternommen und jedesmal aus einer Höhe von 2200 m Bomben herunterge-
worfen. Er erhielt auch verschiedene türkische Kugeln, sie richteten aber keinen
Schaden an. Schließlich bekam er den Auttrag, von Mustafa-Pascha aus, wo
sich das bulgarische Hauptquartier befand, einen Aufklärungsflug nach Gallipoli
zu machen, um festzustellen, ob die Türken einen Ausfall planten. „Ich flog
also“, erzählte Kostine, „auf meinem F'arman-Doppeldecker in der Richtung auf
Adrianopel los, leider ohne Karte und Beobachter, die ich beide verlangt hatte,
die mir aber verweigert worden waren. In 800 m Höhe flog ich mit etwa


Neuzeitliche Holzbildkunst: Gotthard Sonnenfeld: Besiegt.
Verlag Neue Photogr. Gesellschaft A. G. Steglitz.

XXVIII. 17.Z.-Z.
 
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