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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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18. Heft
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Pils, Johann: Erwachender Lenz
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Neisser, Artur: Frühling in der Musik
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0534
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Erwachender ßenz.

Von ^Johann cPilz.
(Jetzt haben die Jllädet schon weiße Sewänder
Und an der cBrusi einen duftigen Strauß
Und in den tffaaren Sfumen und Bänder,
Sie sehen wie bfühende tKirschbäume aus.
<2>

Siefühfen den ßenz und sein reiches ^Verschwenden
Jllit wilder, siegender t/lffgewaft
Und möchten ihn fassen mit ihren Ständen
Und bannen in ihrer sch landen Sestaft.

Gr taucht ihre Stiche in feuchten Schimmer
Und hoff sich ßieder von ihrem SKund,
Sie mohnroten ßippen fächefn immer,
Sie Sfieder dehnen sich straff und gesund.
&

Und tragen sie unter den schweren Siechten
Und voller Sehnsucht das Sfaupt gesenkt,
So naht der dllai in bauschigen Süchten,
Ser sie mit Sigriden und Stück beschenkt.

ffrül|ling in der J^usi^.

Von Arthur Neisser.


ie Allmutter Natur hat von jeher ihr liebevoll hegendes und wärmendes Ge-
wand um künstlerisch begeisterungsfähige Menschen gebreitet. Nicht jeder
ZJ Künstler ist ja zugleich auch Mensch in dem seelisch umfassenden Sinne
dieses Begriffes. Man darf,
ohne zu übeitreiben, behaup-
ten, daß die naturempfäng-
lichen Künstler stets auch die
größten gewesen sind. Man
kann noch einen Schritt weiter
gehen und sagen: auch das
bescheidenere Talent weitet
seine Schwingen unwillkürlich
breiter aus, wenn es von der
Natur inspiriert und in seinem
Schaffen beflügelt wird. Zu
allen Zeiten aber war es be-
sonders die Frühlingszeit, wenn
ringsum in der Natur das
Knospen und Sprießen neu be-
ginnt, wenn die »Winterstürme
dem Wonnemonde weichen",
in der es in der Seele der
Dichter, Maler und Musiker
zu klingen und zu singen be-
ginnt. Denn wir wollen uns
doch nie eng auf das Gebiet
unserer geliebten Tonkunst be-
schränken, sobald wir an künst-
lerisches Arbeiten denken. Wir
sollen stets dessen eingedenk
sein, daß die Künste, wie dies
unser Lessing so ewig gültig
festgestellt hat, drei Schwestern
sind, die, graziengleich, in holdem schwebenden Reigen durch das All schreiten. Wir
wollen uns der tiefinnigen herzlichen Wechselbeziehungen stets inne bleiben, die
zwischen diesen zarten Schwestern bestehen.
Grade, wenn wir an die Macht des Frühlings denken, wenn die vielerlei
musikalischen Herzensergüsse an den Lenz uns erinnern, grade dann wird uns die Unzen-
trennlichkeit der Künste offenbar, und wir fühlen fast mit körperlichem Schmerzempfinden
die Klüfte, die sich zuweilen auftun wollen, um diese selig frühlingsfreudige Zusammen-
gehörigkeit der drei getreu vereinten Schwestern gewaltsam zu zerreißen. Zumal Poesie
und Musik schließen zur Lenzeszeit einen holden Bund. Wenn Vogelsang in Wald
und Rain erschallt, dann pflegt oft jeden geborenen Musiker die volle Poetensehnsucht
nach der Natur zu befallen; er fühlt, wie Worte in seiner Brust aufwärts ringen, und
unwillkürlich gestalten sich die starren, trocknen altüberlieferten, musikalischen Formen,
etwa die der Symphonie zum Gedicht. Selbst ein Beethoven, der in seiner Gottnähe

[Nachdruck verboten.]
zugleich auch die intimste Zwiesprache mit der Natur hielt, selbst dieser große, ein-
same Beethoven, in dem die Musik wallte und glühte, ohne daß der' taube Erden-
mensch ihrer Seligkeiten gewahr werden konnte, selbst Beethoven wird zum Dichter,
wenn er, in seiner Pastoral-
syniphonie, den murmelnden
Silberbach rieseln läßt oder
wenn er das »selige Bei-
sammensein der Landleute"
schildert, das dann urplötzlich
durch ein Gewitter unter-
brochen wird. Beethoven, der
bittere Menschenhasser, konnte
dennoch den versöhnlich,
gleichsam lächelnden Duft
des welligen, frühlingsgrünen
Wiener Waldes nicht ent-
behren, ebensowenig wie der
Norddeutsche Brahms, dessen
Lust am Rhythmus desWiener-
tums sich ja auch aus seinem
Wohlgefallen an der Natürlich-
keit alles Österreichischen, an
der lenzfrischen Tanzeslust der
Wiener erklärt: in seinen köst-
lichen Walzerduetten für Frau-
enstimmen blüht Liebe und
Lenz so melodiefrisch auf,
wie sonst nicht immer in
seinen Kompositionen. So
sprechen auch manche Werke
eines Bach oder eines Max
Reger, vielleicht nur deswegen
nicht zum Laien so unmittel-
anhaftet und weil hie und da

Phot. Willinger, Berlin.

Friedrich Kayßler als Simson.
bar, weil ihnen ein gewisser Studierzimmerduft
ein gewisser akademisch-grämlicher Grundzug oft auch die Schwingen ihrer Heiterkeit
zu lähmen droht (womit ich natürlich nicht etwa an dem erfinderischen Genie dieser
Meister Zweifel erwecken wollte)! Wenn wir an die strengen Künste des Kontrapunktes
denken, wie sie die Niederländer des Mittelalters entfaltet haben, so hängt der strenge,
kirchlich asketische Charakter ihrer Musik wohl auch mit der Naturfremdheit dieser
Akademiker zusammen. Doch hat es auch schon in diesen »grauen" Zeiten echte
Frühlingssänger gegeben; zur Zeit, da ein Walther von der Vogelweide »auf einem
Steine saß und Bein mit Beine deckte" und seine Reime schmiedete, zu dieser Zeit
blühten auch schon die Madrigale und die verschiedenartigsten Formen der Lieder auf,
die fast stets auch zugleich Tanzweisen waren. Ungebundene Freude an der Natur
hat von jeher die Herzen des Volkes musikalisch aufleuchten lassen und ihm die
Volkslieder in den Mund gelegt, die mit ihrer unsterblichen Frische sich lebendig

XXVIII. Fr.-No. 59.
 
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