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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 28.1913-1914

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18. Heft
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Bab, Julius: Schauspieler-Garderobe: Plauderei
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https://doi.org/10.11588/diglit.31172#0537
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236

MODERNE KUNST.

wahr in die andere Gestalt hinüberspielen — der Körper geht fast nie völlig
.mit, er braucht Nachhilfen. Das Haar will nicht sogleich wachsen, die Haut sich
nicht färben, die Brauen sich nicht wölben, wie es für die gebräunte Gestalt am
ausdruckvollsten ist, und die mechanische; Hilfe kommt: Maskemachen! So sehr
Simsons leidende Kraft in der Seele des Künstlers wohnen mag, sein wildes
Haar muß er doch vom Perückenmacher leihen und sorglich einschminken. So
sehr der Spieler aus überlegen-kluger Einfühlung das lächerlich aufgeblasene
Wesen eines Snob in den Nerven hat, die charakteristische Hochmutsfalte an der
Nase muß doch der Schminkstift festlegen, und so sehr die große Komödiantin
innerlich das arme Proletarierweib erlebep mag, für die Blässe der Wangen
muß doch der Puder sorgen! Das ist das letzte Zugeständnis des Geistes an die

Materie. Und das schwerste — die besten Schauspieler leiden am meisten unter
der Notwendigkeit von Perücke und Schminke. Noch einmal nimmt hier das
freie Spiel die materielle Wirklichkeit in Anspruch. In der Garderobe schlagen
sie ihre letzte Schlacht — dann hat die Kunst gesiegt und wer den Raum ver-
läßt, ist nicht mehr ein schauspielender Mensch — er ist Simson und Richard,
die Kronbraut und Lady Macbeth. — — —-— —-— — — —
Und kehrt er zurück, so läuft der ganze Prozeß rückwärts. Tiefer und
tiefer steigt Simson wieder in sein alltägliches Sein; die Maske fällt und das
Kostüm; alle Gefahren gereizter Privatmenschlichkeit schäumen wieder auf.
Immer ist Bewegung, Kampf tiefster Lebenselemente in der Schauspielergarde-
robe. Und das macht ihren unauslöschlichen Reiz.


hat in der
Romantik Frühlingsfreude die Dich-
tung durchweht. Man müßte denn um sechs
Jahrhunderte bis auf den Minnesang zurück-
greifen, dessen Dichter — Walther von der
Vogelweide an der Spitze — nicht müde wurden, den Frühling
gemeinsam mit der geliebten Frouwe zu preisen. Das Wort
Romantik bedeutete ja im Gegensatz zur klassischen Dichtung
das Wiederaufleben besonders germanischer Motive aus Alter-
tum, Mittelalter, und so hielt die Frühlingsfreude neu ihren Einzug. Eichendorff sang
immer wieder von den Frühlingsgärten im Mondschein, von dem Posthorn, das die
Sehnsucht zur Ferne wachruft, von den geheimnisvollen Stimmen des Waldes und
von den wandernden Gesellen, die mit der Laute in der Hand durch die lachende
Welt ziehen. Nun hat in unserer Zeit diese Romantik ihrerseits wieder eine Auf-
erstehung erfahren. Mit ihrer Wanderlust, ihrer Freude an deutschen Gebräuchen,
z. B. an der Sonnwendfeier, und ihrer Lust am Lautenspiel und Gesang! Heute
ziehen Scharen von jungen Männern und Mädchen durch das Land, um die deutschen
Berge, Wälder, Seen, Flüsse und Ebenen kennen zu lernen. Zwei dieser „Wander-
vögel", die soeben auf die vor ihnen aüsgebreitete Natur hinblicken, hatHerman
Sandkuhl auf dem Titelbilde unserer Frühlingsnummer wiedergegeben.
Die Lieblichkeit und Fülle des deutschen Frühlings spricht z. B. aus der
Radierung „Quartett“ des in Osnabrück lebenden Künstlers
Franz Hecker. Die vollbelaubten Kastanien des alten
Parkes haben alle ihre Kerzen aufgesetzt, als wollten sie
den tausend Sternen des Himmels die eigne Pracht
entgegen stellen. In ihrem Laube und auf den Wegen
läßt Franz Hecker Licht und Schatten in gedämpfter
Weise wechseln. Dabei leitet die Helligkeit zu
einem Pavillon hin, etwa im Stile der Zeit
Eichendorffs, aus dessen geöffneter Türe die
Klänge des Quartetts in die Frühlingsnacht
klingen.
* *
*
An Theodor Fontane, der das treff1
liehe Büchlein „Wanderungen durch die
Mark Brandenburg“ geschrieben hat,
könnte man bei dem „Märkischen
Bauerngehöft“ Julius Jakobs den-
ken, der im vorigen Jahr auf der Großen
Berliner Kunstausstellung, wo sich die-
ses Gemälde befand, die goldene Me-
daille erhalten hat. Der idyllische Friede,
den ein schöner Frühlingstag um das
schlichte bäuerliche Leben webt, ist hier
ausgezeichnet wiedergegeben. In dasselbe
Gebiet fällt das Gemälde „Pastorale“
von Oskar Frenzei, diesem vortreff
liehen Berliner Maler, der mit Vorliebe
Rinder und Schafe, von der märkischen Natur
umgeben und gleichsam mütterlich von ihr
umhegt, wie kaum ein zweiter zu malen weiß:
Wie schon der Name andeutet, wohnt seinem
Pastorale eine leise Stilisierung ins Idyllisch-Ärkä
dische inne. Die hohen Bäume öffnen sich gleich einem
Tore, um dem Eintretenden den Weg zu dieser Welt des
Friedens freizugeben. Die „Moderne Kunst“ wird der Malerei
Oskar Frenzeis demnächst einen illustrierten Aufsatz widmen.

Echt deutsch ist auch die Sehnsucht
nach Italien, von der wiederum Eichendorff
in dem „Tagebuch eines Taugenichts“ so
lieblich und humorvoll zu singen und sagen
wußte. Schon Kunz-Meyers Personifi-
zierung der „Frühlingsnacht“ als Frauengestalt, die sich
gedankenvoll an eine Säule lehnt, läßt den Gedanken an
Italien wach werden. Denn die herbere sinnende Schönheit
dieser Frau hat eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Typus
der Römerin, und die Säule legt die Erinnerung an die Antike nahe. — In die
Umgebung von Florenz, diese Geburtsstadt Dantes und Llochburg der Renaissance,
wo Michel Angelo seine Werke für die Medici schuf, versetzt uns Luigi Nonos
„Frühling in Toskana“. Was soeben von der Römerin gesagt war, läßt
sich hier auf die italienische Landschaft beziehen. Auch sie zeigt eine ruhige
Gehaltenheit und ernste Anmut der Formen in den sanft geschwungenen Hügel-
linien und ruhigen Flächen, der gegenüber der deutsche Frühling oft lachend,
übermütig, ungebunden und eigenwillig erscheint. Zu dieser Strenge, die öfters fast
etwa? Melancholisches an sich hat — man denke auch an die schwarzen Gondeln
in Venedig — tragen die Cypressen bei. Von solcher Schönheit italienischer
Natur, der Bindung der Massen sowohl in der Fülle wie in der Schlichtheit,
von der träumenden Melancholie und dem betörenden Wohliaut, der dem
italienischen Frühling innewohnt, geben auch die edlen Zeichnungen Bruno
Wersigs eine klare Vorstellung.
Daß über dem Schaffen Camille Corots', 4er zu den
größten und feinsten Landschaftern aller Zeiten gehört,
stets ein Hauch des Frühlings schwebt, wurde erst
kürzlich an dieser Stelle hervorgehoben. Freilich
kann Corot des Blütenbaums als Symbol des
Frühlings auch entraten, da seine Werke in die
Sphäre des Frühlings einer höheren idyllisch-
arkadischen Welt entrückt sind, die auf der
Grundlage der Wirklichkeit beruht, aber
durch den Wohlklang der Composition wie
der Farbe ihre Verklärung fand. Wir
geben sein Gemälde „Das Boot“ nach der
Radierung des kürzlich verstorbenen
Fritz Krostewitz, eines unserer bes-
ten Radierer, wieder, der die farbigen
Akkorde des Corotschen Werkes
trefflich ins Schwarz - Weiß über-
setzt hat.
* *
*
Gleich diesem Kunstblatt stammt auch
Louis Icarts Radierung „Vertrau-
lichkeiten“ aus dem Verlage J. Casper,
Berlin, dieser vornehmen Berliner Kunst-
handlung, in der gute Kunst stets heimisch
ist. Sehen wir hier, französische Damen in
ihrem Salon Pikanterien austauschen, so gibt
uns das Gemälde des Dresdners Ferdinand
Dorsch „In der Laube“ Einblick in deutsche
Geselligkeit. Charakteristisch genug, daß hier die
Natur ihre Ranken in dieses Fest hineinwebt. Auf
dem Tisch brennt mit rötlichem Schein ein dreikerziger
Leuchter, gegen den Wind durch einen Schirm geschützt,
und draußen blaut der nächtliche Himmel, der über die
Heiterkeit eine gedämpfte Stimmung ausbreitet.

Ilka Grüning als Frau Muskat in „Liliom*.
Phot. Willinger, Berlin.
 
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