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Moholy-Nagy, László
Von Material zu Architektur — München, 1929

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https://doi.org/10.11588/diglit.29204#0196
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sich gleichzeitig auch psychisch aus. die „sinnlich«sittliche“ (goethe) — psycho«
fysische Wirkung der sinnlich faßbaren elemente (färbe, ton usw.) ist die grund«
läge unserer beziehungen zu gegenständ und ausdruck. sie ist auch die materielle
grundlage der kunst.

für die sinnlich«sittliche (psycho«fysische) wirkung der elemente besitzen wir
noch keine eindeutigen feststellungen, abgesehen von einigen in der Volks«
spräche gebräuchlichen ausdrücken.
z. b. gelb = färbe des neides,
grün = hoffnung,
rot = liebe.

stiere können mit rot gereizt werden,
wirkung der glasorgel: der mensch weint.

bei primitiven Völkern existiert noch die kenntnis von der (psycho*fysischen)
wirkung der speisen und getränke. man behauptet z. b., daß die beherrschung
der küche dort der frau — mehr als anderswo — die herrschaft über den mann
sichert.

auf einem einzigen gebiet, dem der färbe, sind anfangsschritte zur klärung ge»
macht worden, goethe hat versucht, die sinnlich»sittliche wirkung der einzelnen
färben, auch farbenpaare zu bestimmen; aber für kompliziertere gebilde war
auch seine spräche nicht differenziert genug.

in einer lehre von den psycho«fysischen Wirkungen der färben müßten unzählige
Überschneidungen Vorkommen, die zahl der praktisch auftretenden fälle von
beziehungen ist so groß, daß ein jedes beispiel in den feinsten sprachnüancen
ausgedrückt werden muß, wenn es nicht in bezug auf die anderen zusammen«
Setzungen zu falschen resultaten führen soll, im laufe der zeit kann sich auch
die bedeutung der elemente ändern, (durch häufige anwendung entsteht oft
eine deutliche abstumpfung; was in einer periode noch hochspannung anzeigte,
kann in einer nächsten als ausgeleiert in das gegenteil verkehrt werden.) und
selbst die menschliche disposition zu gewissen reaktionserscheinungen kann
sich ändern.

so wird man verstehen, daß die wirkung von reicheren farbenkomplexen, wie
ein bild sie z. b. enthält, überhaupt nicht mehr mit den logischen bindungen
einer bewußt werdenden gehirnarbeit zu fassen sind, sondern daß wir sie, bei
entsprechender bereitschaft, in zentralen gebieten unseres lebendigen seins,

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