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Mohrmann, Karl [Hrsg.]; Eichwede, Ferdinand [Hrsg.]
Germanische Frühkunst (Band 1): Tafel 1 - 60 — Leipzig, 1906

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https://doi.org/10.11588/diglit.44018#0011
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ARA E

Erläuterung der Tafeln der erſten Abteilung.

(Takel 1-60.)

Tatel 1. Portal der Kirche zu Urnaes (Sogne-Fjord). k

Die kleine Kirche von Urnaes, auf einem Bergvorſprung am nord- k
öſtlichen Ausläufer des Sogne-Fjords ſchön gelegen, gehört zu den älteſten k
erhaltenen Stabkirchen Norwegens. Diele Gattung von Holzbauten,
deren Wände aus ſenkrecht gelſtellten, unten in eine Schwelle und oben
in ein Rahmholz eingelaîſlenen Hölzern (Stäben) gebildet lind, war über k
ganz Skandinavien, über Sroßbritannien und Irland und auch wohl
über das nördliche Deutſchland verbreitet.

In England haben lich nur Wandreſte der kleinen, mutmaßlich um k
das Jahr 1000 errichteten Kirche in Greenſted bei Ehipping Ongar in
Eſſex erhalten, die aus lenkrechten, durch eingelettte Bolzkedern ver- k
bundenen, außen rauhen Eichenitämmen beſtehen, wie es die nach der
Natur gezeichnete GSrundrißikizze 1 und das darüber dargeltellte Stück der
Hußenanlicht zeigt. In Fig. 2 lind Bohlenrelte Nhwediſcher Bauten
gezeichnet, die ebenfalls Ieitlich durch eingeſchobene Bolzkedern ver- é
bunden waren. Die allein in größerer Zahl erhaltenen norvegiſchen |
kirchen haben einen feſten, durchlaufenden Eckbaum, in den lich die
verſpundeten, in die Schwellen (Fig. 3a) eingezapkten Bohlenwände j
nach Art der Skizze 3 einfügen; lie lind in der Konstruktion und Hus- k
bildung der Wand und der Stützen hoch entwickelt und zeigen eine eigen- k
artige Verſpreizung des Dachwerkes. Die größeren, durch Säulen in
Schiffe zerlegten Kirchen, zu denen Urnaes gehört, kaben einen balilikalen k
Querschnitt, lie lind meiſt durch einen Dachreiter überragt und außen durch l
angelehnte offene Ballen umzogen. Es entſteht dadurch eine Stufenfolge k
von ſchräg anlteigenden ſeilen Schindeldächern, die mit den drachen-
bekrönten Firiten den Bauten einen ganz beſonderen Reiz perleihen.

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Die Umrahmungen der Portale lind reich geſchnittt mit ver-
ſchlungenen Tiergeſtalten, uriprünglich Nheinen auch wohl Wandklächen

Mokrmann u. Eichwede, Sermaniſche Frühkunlt, 1



bei beſonders reichen Kirchen mit Schnitzwerk überzogen zu lein, wokür
zwei Bohlen der Nordſeite der Kirche in Urnaes Zeugnis ablegen. In
dielen beiden Bohlen, einem Giebelornament und dem aut Tatel 1 dar-
geſtellten Portal weilt die Kirche zu Urnaes Reſte einer Ornamentierung
auf, die noch der alten keltiſch-germaniſchen Formengebung angehört,
wie ſie lich von der vorchriſtlichen Zeit bis etrva zum 11. Jahrhundert
auf Steinkreuzen und Schmuckgegenitänden findet. Phantaltiſche Nhlanke
Tiergeltalten mit lang ausgezogenen Schnauzen und kadenartige Schlangen
durchwinden und bekämpten einander. Unten links Iteht ein als Löwe
gedeutetes vierfüßiges Tier mit Nackenſchopf, Mähne und den für die
krühe Zeit bezeichnenden, nach vorn zugelpitzten Augen.

Die Ornamente der Türumrahmung lind autfallend tief aus-
gearbeitet, lo daß der Grund um 6 cm und mehr zurückliegt, wodurch
die kaum 2 cm breiten Schlangen zu hochkantigen Stegen werden.
Die Ornamente des Türflügels lind bei lonſt ähnlichem Charakter flach
gehalten.

Wie lich aus der Linientührung erkennen läßt, iſt das Portal
unten um mindeſtens 20030 cm gekürzt, auch oben lind die Ornamente
durch Abplatten mit der Axt verſtümmelt, lo daß lie nur in der dar-
geſtellten Husdehnung klar kenntlich ſind.

Takel 2.

Kirche zu Urnaes (Sogne-Fjord). Stützenausbildung.
(Vgl. Tafel 1.)

Das Innere der Kirche zu Urnaes weicht in ſleiner Formengebung
merklich vom Äußern ab, wie ein Vergleich der Ornamente aut Tafel 2
mit dem auf Tafel 1 dargeltellten Portal erweiſt. Die dünnen Schlangen
ſind durch Ranken mit Laubwerk erletzt, die Tiergeſltalten haben zum
Teil Flügel erhalten und zeigen in Kopfform und Huge ein anderes
HAusſehen, Tierformen und Würtelkapitäle bekunden eine gewiſſe Ver-
wancdtschaft mit keſtländiſchem Steinornament. Es iſt möglich, daß die
AHufnahme der balilikalen mehrſchiftigen Form zunächl[t auch eine Hn-
lehnung an die Formengebung der Steinbauten mit lich brachte, die
aber bald wieder zugunîten der heimiſchen Technik und Formeniprache
verſchwand, denn Urnaes ſIteht mit ſeiner Husbildung der Kapitäle und
AHrkadenbögen ziemlich einzig da.

In dem beachtenswerten Werke „Die Bolzbaukunſt Norwegens“,
auf das hiermit vervielen lein möge, Iucht der Pertkalſer Dietrichſon
darzutun, daß in Urnaes zwei verſchiedene Stilarten gleichzeitig neben-
einander gearbeitet hätten, und dat die Kirche einheitlich um das
Jahr 1100 gebaut ſei, eventuell dem letzten Viertel des 11. Jahrhunderts
angehören könne. Wir vermögen ſeiner Beweisführung nicht zu folgen,
das oben und unten verſtümmelte Portal paßt nicht in die jetzige Wand-
höhe, auch wenn es erſt neuerdings durch Abſchneiden der unteren
Teile geſenkt ſein ſollte. Die links neben der Tür betindlichen ge-
ſchnitzten Bohlen lind zwar nur oben beſchädigt, aber auch das genügt,
um ihre Verletzung von anderer Stelle wahrſcheinlich zu machen, denn
eine derartig reiche Ornamentik führt man nicht aus, um lie ſogleich
zum Zwecke des Einzapkens roh mit der Hxt zu verunſtalten. Huch
das in Fig. 42 bei Dietrichlon abgebildete alte Giebelkeld ſcheint rechts
bei einer Zurichtung kür den Platz etwas gekürzt zu lein. Biernach ilt
es wahrſcheinlich, daß ein Umbau der Kirche unter Verwertung alter

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