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Monatsberichte über Kunstwissenschaft und Kunsthandel — 1.1900/​1901

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Nr. 4
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Ostini, Fritz von: Bœcklin
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https://doi.org/10.11588/diglit.47723#0209
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182

BCECKLIN t

Der grosse Maler Arnold Boecklin, den das deutsche
Publikum nun schon seit fünfzehn Jahren nicht mehr
auslachte, ist am 16. Januar im Alter von 73 Jahren
und 3 Monaten in San Domenico bei Fiesoie sanft ent-
schlafen. Dieser kurze Satz enthält seine Lebensge-
schichte in nuce und leider damit auch das typische
Schicksal des Genius: lange von der breiten Mehrzahl
missverstanden, von Wenigen bewundert und spät erst,
auch von den andern erkannt zu werden! Zum Glück
bedeutete dies »spät« kein »zu spät« für Arnold Boecklin.
Ihm war es noch als lebendig Schaffendem gegönnt,
zu fühlen, wie er mit jedem Tage mächtiger zur Gel-
tung kam, wie aus den Gleichgültigen Verehrer, wie
leidenschaftliche Huldigung aus stiller Anerkennung ward,
wie endlich er, der mit ergrauendem Haar noch die
Sorge gekannt, als vielumworbener Fürst dastand im
Reiche der Kunst. So spät dies geschah, wir können
heute schon sagen, dass kaum ein anderer Maler gleich
mächtige Wirkung auf sein Volk übte, wie er, wir
können also freilich noch gar nicht abschätzen, wie ge-
waltig diese Wirkung ist und sein wird, wie sehr sein
Wesen unser ganzes Kulturleben durchdrungen hat.
Und doch hat man noch kaum angefangen, die Schätze
zu heben, die er zusammentrug, noch weiss das Aus-
land kaum mehr von Boecklin, als dass er ein etwas
wunderlicher Schweizer Maler gewesen sei! Die Fülle
von Glanz und Ehren, welche die Gönnerschaft der
Grossen auf Künstler häuft, die nicht würdig sind, einem
Boecklin die Schuhriemen zu lösen, war für ihn nicht
vorhanden. Demokratisch angelegte Naturen -— und
in Kunstdingen ist wohl jeder ein Stück Demokrat —
mögen sich dessen freuen! So gehört er erst ganz
zum Volke, er, den weder die amtlich patentierten
Fachbonzen zur Förderung empfahlen, noch die Fürsten
zu fördern geruhten. Weiss Gott: der Schnörkel »von«
am Namen Boecklin wäre ein Stilfehler, wie es auch
einst ein, freilich recht gut gemeinter Stilfehler gewesen
war, dass man ihn zum Akademieprofessor hatte machen
wollen !
So viele Federn deutscher Kunstkritiker und Feuille-
tonisten der Tod Boecklins in Bewegung gesetzt hat —
in ihrer hohen Bewunderung für den Meister sind sie
alle einig. Und noch in Einem: Darin, dass es unend-
lich schwer ist, diese Persönlichkeit kunstgeschichtlich
unter irgend einer der bekannten Registernummern
unterzubringen. Alle diese Rubriken, alle die Fächer
im Kasten der Schulästhetik sind für ihn zu eng und
mit keiner Schule steht er in Zusammenhang, keine
Schule leitet sich auch im gewöhnlichen Sinne von ihm
ab. Unendlich Vieles im »Neoidealismus« geht auf ihn

zurück, mehr als sich so auf den ersten Blick erkennen
lässt und ganz besonders Vieles in der modernen Illu-
strationskunst. Aber, die glaubten, unmittelbar in seinen
Fusstapfen weiterschreiten zu können, haben sich alle
getäuscht. Mit den antiken Motiven, den schönen klaren
prismatischen Färblein und ein wenig fremdartiger Auf-
fassung und naiver Formgebung war’s nicht gethan.
Das Wesen Boecklins setzt sich eben doch nicht aus
ein paar Schrullen und Spezialitäten zusammen, der
Mensch Boecklin ist das, was aus seinen Werken so
stark und liebenswert auf uns einwirkt, der Dichter und
Schauer in ihm. Die Natur ist freilich die Lehrmeisterin
seiner Kunst, wie aller Kunst gewesen — aber wie
ganz anders sieht die Natur aus, durch das Medium
seiner Seele gesehen, als durch die Augen eines andern!
Phantasie und Wirklichkeit sind in seinem Schaffen zu
einem Ganzen verschmolzen, das wie ein neues Element
erscheint. Man weiss, dass er, den Schuljahren ent-
wachsen, nicht mehr unmittelbar nach der Natur malte:
sein Auge sog die Bilder auf in intensivem und wohl
systematisch gebildetem Schauen, sein fabelhaftes Ge-
dächtnis hielt sie fest, wie eine lichtempfindliche Platte,
aber wenn er sie im Kunstwerk ausgab, waren sie ver-
klärt geworden im Goldbad seiner Empfindung. Boecklin
hat ja in Bezug auf den Gegenstand die mehr oder
minder künstlerische Neugier der Beschauer lebhafter
gereizt, als irgend Einer — in Wahrheit ist aber in
der schlichtesten Landschaft seine Eigenart als Maler,
seine dichterische Phantasie genau so zu spüren, wie
in den von seltsamen Fabelwesen belebten Kompositi-
onen, ja oft wirkt er als Landschafter, in seinen Villen
am Meer, Toteninseln, Ruinen, Quell in der Fels-
schlucht etc. noch eindringlicher, greift noch tiefer ins
Herz. Es gibt Landschaften Boecklins, vor denen man
in Stunden weltfremder Selbsteinkehr weinen kann; aus
ihnen weht uns ein Hauch von einsamer Grösse, eine
Würde an, die uns alle Kleinlichkeiten des Lebens ver-
gessen lässt und uns auch wieder erhebt zu höherem
Menschentum. Und es gibt andere Bilder Boecklins,
die uns mit unfehlbarem Zwange licht und froh stimmen,
wie sein »Frühlingslied«, »Sieh’ es lacht die Au!« und
viele andere. Er macht uns jauchzen und weinen, er
macht uns zu Bacchanten und zu Betern, wie er will,
wie ein grosser Poet — der er auch war! Sein Werk
spricht immer persönlich mit dem, der es betrachtet;
so viele Hunderttausende er schon entzückt hat, ich
habe vor seinen Bildern stets ein so seltsam dankbares,
gerührtes und heimlich stolzes Gefühl, als habe er mir
Dinge gezeigt, die niemand schauen dürfte, als er und
ich. Und ich meine, dass einem ein Künstler dies em-
 
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