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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 1. Halbband, Heft 1 - 6.1908

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Heft 4
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Steinmann, Ernst: Sancta Sanctorum
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https://doi.org/10.11588/diglit.70400#0309
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Steinmann. Sancta Sanctorum

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Grisar stellt dieses Kreuz neben das älteste, bisher bekannte Kreuz aus Edelmetall, das
des Kaisers Justin II. (565—578) in St. Peter zu Rom, und glaubt seine Entstehungs-
zeit ebenfalls in das 5. oder 6. Jahrhundert ansetzen zu dürfen. Auch hierüber wird
man diskutieren können, wie über die andere Frage, ob der Silberbehälter des Gemmen-
kreuzes, der dasselbe noch heute umschließt, ein Geschenk Paschalis I. oder Paschalis II.
ist. Jedenfalls gehört dieses Reliquar mit seinem reichen Reliefschmuck schon wegen
der Stiftungsinschrift: Paschalis episcopus plebi dei fieri iussit zu den merkwürdigsten
Stücken des Schatzes.
Weitere Reliquare aus Silber sind nun vor allem das Kästchen mit den Sandalen
Christi, die Silberschatulle für das Haupt der hl. Agnes von Honorius III., das Reliquar
des Hauptes des hl. Praxedes mit kostbaren Schmelzmedaillons und mehrere andere
Reliquienkästen mit eingeritzten Darstellungen und Nielloschmuck. Zwei Holzkästchen
mit äußerst sorgfältigen Malereien auf Goldgrund setzt Grisar das eine in das elfte,
das andere in das neunte oder zehnte Jahrhundert. Künstlerisdi besonders hochstehend
sind in dem Reliquar aus dem elften Jahrhundert die Darstellungen auf dem Deckel:
außen St. Johannes Chrysostomus, innen die Kreuzigung mit Maria und Johannes.
Unter den Elfenbeinobjekten ist eine Pyxis mit Szenen des Bacchuskultus (Fragment)
und ein kleines frühchristliches Elfenbeinrelief zu nennen, welches die Heilung des
Blindgeborenen darstellt.
Dem Umstande, daß die Reliquien in kostbare Seidentücher gehüllt, in ihren
Schreinen aufbewahrt zu werden pflegten, haben wir es zu danken, daß uns im
Schatz von Sancta Sanctorum auch die wunderbarsten Webestoffe aus einer Reihe
von Jahrhunderten erhalten geblieben sind. Der jüngst verstorbene Julius Lessing
sowohl wie Max Dreger, einer der besten Kenner alter Textilien, haben die Ent-
deckungen Grisars auch für unsere Kenntnis alter Seidenstoffe als epochemachend be-
zeichnet. P. Ehrle hat diese herrlichen Gewebe zwischen zwei Glasplatten gerahmt
und so aufgehängt, daß sie vor dem Eindringen des Lichtes möglichst geschützt sind.
Den Charakter spätgriechischer (byzantinischer) Kunst erkennt Dreger mit Recht
in dem Hauptstücke der Sammlung, jenem wundervollen Seidenstoff mit der Verkün-
digung Mariae, von dessen Schönheit auch Tabanellis Farbenkopie kaum einen an-
nähernden Begriff gibt. Dreger konnte sich in besonderem Anhänge zu Grisars Werk
ausführlich zu den Webestoffen des unvergleichlichen Schatzes äußern. Man wird
diese sachgemäße Behandlung der äußerst schwierig zu datierenden Stoffe durch einen
erfahrenen Spezialisten nur mit Dank begrüßen können.
Die Hebung des Schatzes von Sancta Sanctorum und seine Aufstellung in der
Bibliothek des Vatikans ist nicht nur für den christlichen Archäologen ein Ereignis von
unschätzbarer Bedeutung. Auch der Historiker im weiteren und der Kunsthistoriker im
engeren Sinne haben an diesem Ereignis freudigen Anteil genommen, und auch der
gebildete Laie wird sich an einem Buche freuen, das ihm plötzlich einen der best-
gehütetsten Schreine der schier unerschöpflichen Schatzkammern der alten ewigen Stadt
erschließt.
 
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