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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 1. Halbband, Heft 1 - 6.1908

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Heft 4
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Studien und Forschungen
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Studien und
ÜBER DEN BLOCK VON MICHEL-
ANGELOS DAVID.
Von Adolf Gottschewski.
Seit dem Jahre 1466 lagerte in der Dombau-
hütte von Florenz ein sehr großer Marmorblock
von 9 Ellen Höhe (= 5,25 m), der einen sehr
bedeutenden Vermögenswert repräsentierte.
Dieser Block war verpfuscht; ein Bildhauer
Bartolommeo di Pietro genannt Bacellino hatte
ihn verhauen, in Carrara selber noch, weil er in
dem Wunsche den Transport des Riesenblockes
nach Florenz zu erleichtern, die Abbozzierung
offenbar nach einer ungenügenden Skizze
zu weit getrieben hatte. Als der Stein in
Florenz anlangte, erwies er sich als unbrauch-
bar und Jahrzehntelang fand sich, wie Condivi
erzählt, kein Meister, der den Mut hatte, an ihn
die Hand zu legen, um eine Statue daraus zu
machen, nicht etwa eine von der ursprünglichen
Größe, sondern selbst eine wesentlich kleinere.
(Condivi Frey. S. 48 f.) Erst um das Jahr 1500 mel-
dete sich ein Künstler, der das schwierige, der vo-
rigen Generationen unlösbar erschienene Problem
anzufassen gewillt ist. Andrea Contucci aus Monte
Sansovino bemühte sich, den für die Dombauver-
waltung wertlosen Block als Geschenk zu erhalten
und machte sich anheischig, durch Anfügung von
Stücken eine Statue daraus zu schaffen. Eine solche
Aushülfe fand aber die Renaissance mit ihrem
starken Sinn für technische Anständigkeit in der
Kunst unwürdig, wie wir das aus der Entrüstung
erfahren können, mit welcher Vasari (Introduzione,
Della Scultura. Vol. I., pag. 155) solches Flick-
werk brandmarkt: „eine derartige Stopferei ist
eines Flickschusters Sache und eines ausgezeich-
neten und erlesenen Meisters unwürdig, sie ist
in tiefstem Grunde gemein und häßlich und kann
nicht genügend gerügt werden."
Michelangelo tritt, von den Bemühungen
Sansovinos unterrichtet, auf den Plan, macht sich
aber erbötig, ohne Anstückelung einen Giganten
unter voller Ausnützung der Blockgröße zu
fertigen und erhält den Stein. Am 16. Aug. 1501
wird der Vertrag mit ihm abgeschlossen, in
welchem Michelangelo sich verpflichtet, den
Marmordavid in der Zeit von zwei Jahren gegen
einen Monatsgehalt von sechs Goldgulden zu
vollenden.
In welcher Weise war nun der Block so
schwer verhauen, daß eine ganze Künstlergene-

Forschungen
ration nicht imstande war, ein anständiges
Werk daraus zu schaffen? Vasari berichtet,
daß er zwischen den Beinen bereits durchbohrt
war, doch scheint dieser Umstand nicht so weit-
tragend zu sein, als daß er die Verwertung des
Blockes so lange hätte verhindern können.
Michelangelo selber hat für seine Arbeit aller-
di :gs dadurch Behinderung erfahren, denn dieser
Fehler offenbar zwang ihn zu der anatomischen
Gewagtheit, den Unterschenkel seitlich zu be-
wegen, während er, wie leicht zu erproben ist, nur
in der Längsrichtung des Oberschenkels bieg-
sam ist. Ich glaube aber, daß außer der Be-
schädigung durch die Durchbohrung des Blockes
in der unteren Partie eine viel schwerer wiegende
Verhauung in der Gegend der Hüfte auf der
linken Seite der Figur von der Seite her statt-
gefunden hat. Dieser Umstand läßt sich aus
der Formanalyse der Michelangeloschen Schöpfung
erweisen. Dasjenige Moment, welches den David
gegenüber der ganzen Quattrocentoplastik un-
terscheidet, ist die energische, ich möchte sagen,
ungeheuerliche seitliche Verschiebung des Schwer-
punktes, derart, daß er nicht wie bei aller
Quattrocentofreiplastik über der Mitte der Unter-
stützungsfläche sich befindet, sondern über dem
Punkte, der das letzte linke Viertel der Unter-
stützungsfläche abteilt. Michelangelo hat diese
Kompositionsweise sich dadurch ermöglicht, daß
er den Moment wählte, in welchem der junge
Held in der Ferne den Feind erblickt und alle
seine Kräfte ordnend, seinen Körper, um ihm
besseren Schwung zu geben, nach rückwärts
zieht.1) Wie er sich das Innenleben eines
solchen Momentes vorstellte, das ist es, was
ihm geistig die Möglichkeit gab, als Künstler
die geschaffene Formidee zu erfinden. Denn den
von Michelangelo gewählten Moment, in dem
der Held zum Kampf gerüstet den Feind im
Auge hat, finden wir schon früher dargestellt.
Donatello wählte ihn für seine St. Georg-Statue
an Or San Michele genau ebenso. Aber er
empfand diesen Moment anders: ein schicksals-
sicheres ruhiges Dastehen gibt er, ein präde-
stiniertes Siegesbewußtsein läßt er den hl. Georg
beim Anblick des Feindes empfinden, weder

9 Die Wahl dieses Moments hat zur Folge, daß zum
ersten Mal in der italienischen Kunst der David ohne den
Goliathkopf dargestellt ist; nicht etwa mangelndes Mate-
rial hat zum Weglassen des Kopfes geführt, denn an Stelle
des Baumstumpfes hätte er sehr wohl gebracht werden
können.
 
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