Sancta Sanctorum')
Von Ernst Steinmann
„Non est in toto sanctior urbe loco", steht in großen goldenen Buchstaben auf
dem säulengestützten Architrav über dem rings mit schweren Eisenstangen vergitterten
Altar der Kapelle Sancta Sanctorum geschrieben. Mehr als ein Jahrtausend wurde
hier in dem Cypressenholzschrein Leos III. ein langsam sich vermehrender Schatz ehr-
würdiger Reliquien in kostbaren Geräten bewahrt. Feuer, Krieg und Pestilenz, welche
auf dem schicksalsvollen Boden Roms überall ihre Spuren zurückgelassen haben,
machten vor dieser geweihten Stätte Halt. Diese unverrückbaren Eisenstäbe scheinen
selbst dem Furor der spanisch-deutschen Landsknechte Stand gehalten zu haben, welche
in dem furchtbaren Jahre 1527 auch die Kapelle Sancta Sanctorum zu plündern unter-
nahmen. „Auf dem ganzen Erdkreis kein so heiliger Boden" — man spürt den
Zauber dieses Wortes, wenn die schweren Bronzetüren sich mühsam öffnen und man
durch einen schmalen Gang in den geweihten Raum gelangt, in welchem einst an
hohen Feiertagen Römer und Fremde in unabsehbaren Scharen sich drängten, und in
dem die Päpste des Mittelalters die heiligsten Mysterien feierten. Heute gestatten die
eifersüchtigen Hüter dieses Sakrariums, die Brüder des Ordens der Passionisten, den
Eingang, der Frauen ohnehin von altersher untersagt war, den Männern nur noch
kraft ganz besonderer Empfehlung; und von den tausenden, die alljährlich Romwärts
ziehen, kann sich kaum einer rühmen dies herrliche Opus Alexandrinum betreten zu
haben, das so deutlich die Spuren von Millionen Menschentritten trägt, die zwar den
weicheren Marmor nieder zu treten vermochten, Serpentin und Porphyr aber unversehrt
lassen mußten.
Den berühmten Verfasser der Geschichte Roms im Mittelalter, P. Hartmann
Grisar, traf das glückliche und wohlverdiente Los den unvergleichlichen Schatz von
Sancta Sanctorum zu heben. In der Einleitung seines gehaltvollen Buches über die
Hauskapelle des alten Lateranpalastes und ihre Reliquien handelt er ausführlich über
Wiederauffindung und Hebung jener Kostbarkeiten, die er selbst mit zitternden Händen
dem Grabesdunkel des Altarschreines entriß und in die vatikanische Bibliothek über-
führen durfte. Hier können nun heute die seltsamen Reliquienschreine, die Geräte
aus Silber und Elfenbein, die Gemälde und Stoffe von jedermann gesehen und
geprüft werden.
Nicht oft bietet das Schicksal dem Forscher einen so glänzenden, einen so
unerhört neuen Gegenstand zur Behandlung dar. Aber auch selten haben Schicksal
und Zufall eine so befähigte Kraft getroffen. Grisar schien gleichsam, als der Erbe
9 Die Römische Kapelle Sancta Sanctorum und ihr Schatz. Meine Studien
und Entdeckungen in der Palastkapelle der mittelalterlichen Päpste. Von Hartmann Grisar. S. J.
Mit einer Abhandlung von M. Dreyer über die figurierten Seidenstoffe des Schatzes. Herdersche
Verlagsbuchhandlung Freiburg i. B. 1908.
Von Ernst Steinmann
„Non est in toto sanctior urbe loco", steht in großen goldenen Buchstaben auf
dem säulengestützten Architrav über dem rings mit schweren Eisenstangen vergitterten
Altar der Kapelle Sancta Sanctorum geschrieben. Mehr als ein Jahrtausend wurde
hier in dem Cypressenholzschrein Leos III. ein langsam sich vermehrender Schatz ehr-
würdiger Reliquien in kostbaren Geräten bewahrt. Feuer, Krieg und Pestilenz, welche
auf dem schicksalsvollen Boden Roms überall ihre Spuren zurückgelassen haben,
machten vor dieser geweihten Stätte Halt. Diese unverrückbaren Eisenstäbe scheinen
selbst dem Furor der spanisch-deutschen Landsknechte Stand gehalten zu haben, welche
in dem furchtbaren Jahre 1527 auch die Kapelle Sancta Sanctorum zu plündern unter-
nahmen. „Auf dem ganzen Erdkreis kein so heiliger Boden" — man spürt den
Zauber dieses Wortes, wenn die schweren Bronzetüren sich mühsam öffnen und man
durch einen schmalen Gang in den geweihten Raum gelangt, in welchem einst an
hohen Feiertagen Römer und Fremde in unabsehbaren Scharen sich drängten, und in
dem die Päpste des Mittelalters die heiligsten Mysterien feierten. Heute gestatten die
eifersüchtigen Hüter dieses Sakrariums, die Brüder des Ordens der Passionisten, den
Eingang, der Frauen ohnehin von altersher untersagt war, den Männern nur noch
kraft ganz besonderer Empfehlung; und von den tausenden, die alljährlich Romwärts
ziehen, kann sich kaum einer rühmen dies herrliche Opus Alexandrinum betreten zu
haben, das so deutlich die Spuren von Millionen Menschentritten trägt, die zwar den
weicheren Marmor nieder zu treten vermochten, Serpentin und Porphyr aber unversehrt
lassen mußten.
Den berühmten Verfasser der Geschichte Roms im Mittelalter, P. Hartmann
Grisar, traf das glückliche und wohlverdiente Los den unvergleichlichen Schatz von
Sancta Sanctorum zu heben. In der Einleitung seines gehaltvollen Buches über die
Hauskapelle des alten Lateranpalastes und ihre Reliquien handelt er ausführlich über
Wiederauffindung und Hebung jener Kostbarkeiten, die er selbst mit zitternden Händen
dem Grabesdunkel des Altarschreines entriß und in die vatikanische Bibliothek über-
führen durfte. Hier können nun heute die seltsamen Reliquienschreine, die Geräte
aus Silber und Elfenbein, die Gemälde und Stoffe von jedermann gesehen und
geprüft werden.
Nicht oft bietet das Schicksal dem Forscher einen so glänzenden, einen so
unerhört neuen Gegenstand zur Behandlung dar. Aber auch selten haben Schicksal
und Zufall eine so befähigte Kraft getroffen. Grisar schien gleichsam, als der Erbe
9 Die Römische Kapelle Sancta Sanctorum und ihr Schatz. Meine Studien
und Entdeckungen in der Palastkapelle der mittelalterlichen Päpste. Von Hartmann Grisar. S. J.
Mit einer Abhandlung von M. Dreyer über die figurierten Seidenstoffe des Schatzes. Herdersche
Verlagsbuchhandlung Freiburg i. B. 1908.