Abb. 2. Szene aus dem Leben der Priesters Ippen. XIV. Jahrh.
Selected Relics VI, 19, 2 □
Die Raumdarstellung in der japanischen Malerei
von Curt Glaser
Die Erweiterung des Gebietes kunstwissenschaftlicher Forschungen über den
Kreis der Völker des Mittelmeerbeckens hinaus bringt eine Reihe von prinzipiell
neuen Fragestellungen mit sich. Es treten Kunstwerke in unseren Gesichtskreis, die
den bisher gekannten im tiefsten Wesen fremd sind, und es erhebt sich die Grund-
frage, ob wir als Fremde berechtigt und im stände sind, von diesen Kunstwerken
etwas Wesentliches auszusagen, ob die Interpretierung eines Europäers überhaupt einen
Sinn hat, ob nicht allein die Aussage des Schöpfers und seiner Stammesverwandten
wertvoll ist. Daß diese einen sicheren Anhalt der Beurteilunng zu gewähren ver-
mag, steht außer Frage, und man fordert mit Recht für die Erforschung der Kunst
primitiver Völker die Befragung der Eingeborenen als Vorbedingung einer jeden
wissenschaftlichen Bearbeitung ihrer Kunsterzeugnisse. Was in einem allgemeineren
Sinne diese Untersuchungen, die von ethnologischer Seite geführt wurden, uns lehren,
ist, daß wir uns zu gewöhnen haben, unseren eigenen Deutungen, die nur auf den
Gewohnheiten der Kunstübung, innerhalb deren wir selbst leben, beruhen können,
mehr als vordem zu mißtrauen. Wir wissen, daß es nicht genügt, den ornamentalen
Reiz zu genießen, der einem primitiven Kunstwerk innewohnen mag, sondern daß wir
die Absicht seines Schöpfers kennen müssen, um das künstlerische Wollen, das in
seinem Werke zum Ausdruck gelangt, zu begreifen.
Unser Verhältnis zur ostasiatischen Kunst gleicht dem zur Kunst der primitiven
Völker, insofern als es auch hier sich um Kunsterzeugnisse handelt, die uns von vorn-
herein so weltenfern liegen, daß wir von Grund auf umlernen müssen, um ihnen ge-
recht werden zu können. Aber die bequeme Handhabe, die die unmittelbare Frage