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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 1. Halbband, Heft 1 - 6.1908

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Heft 4
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Rundschau
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^^ RUNDSCHAU i

BERLIN ==== =
Neuerwerbungen der Kgl. Museen. Das
Kaiser-Friedrich Museum fährt mit Eifer
und Glück fort, seine Skulpturensammlung zu
vermehren. Auch diesmal sind es einige glän-
zende Holzskulpturen, welche vor allen anderen
Erwerbungen der Museen ins Auge fallen.
Über ein südbairisches Lindenholzrelief, den
Brunnen der Liebe darstellend, Altdorfer in Er-
findung, Typus und Stil nahestehend, aber nicht
auf eine Vorlage von ihm selbst zurückzuführen,
berichtet Herm. Voß in den amtlichen Berichten
aus den Kgl. Kunstsammlungen; Vöge ebenda
über einige gotische Holzfiguren: eine anschei-
nend brabantische Madonna auf dem Thron, aus
der Mitte des 13. Jahrhunderts; ein schöner
nordfranzösischer Leuchterengel um 1260 (wohl
zu eine thronenden Altarmadonna gehörig),
dessen direktes Gegenstück jüngst' der Louvre
erwarb; eine Gestalt von dem lebendigen durch-
gefühlten Rhythmus der Bewegung, welcher die
besten französischen Skulpturen des 13. Jahr-
hunderts bei all ihrer architektonischen Ge-
bundenheit so überaus anmutig erscheinen läßt.
— Das Museum der Völkerkunde erfuhr
eine großartige Bereicherung durch altchinesische
Wand- und Seidenmalereien und Steinskulp-
turen, welche von Prof. Adolf Fischer in China
aufgefunden und erworben worden sind. Sie
gehen zum Teil sogar weit hinter die buddhis-
tische Zeit zurück und liefern abermals die
bündigsten Beweise von den Zusammenhängen
der ostasiatischen mit der antiken (mykenischen,
assyrischen, griechischen) Kunst; Funde, die un-
schätzbar sind, weil sie infolge umfassender
Zerstörungen (durch Mohammedaner, Japaner
und Chinesen selber) überaus selten geworden
und mit Mühe entdeckt, mit Gefahren geborgen
werden können. Diese Erwerbungen werden,
vorläufig im Schliemannsaale verschlossen, später
in geordnetem Zustande auch dem Publikum
zugänglich gemacht werden. Es wäre sehr zu
wünschen, daß sie bei ihrem großen kultur-
historischen und künstlerischen Wert, der sie
an Interesse weit über den Durchschnitt der
Sammlungen des ethnographischen Museums
erhebt, einen hervorragenden und leicht er-
kenntlichen Platz erhielten.
In den Ausstellungen der Kunstsalons
fesselten vor allem' zwei starke Persönlichkeiten:
van Gogh, von dem es eine gute Sammlung
im März bei Cassirer gab, und Melchior Lechter,

der im April bei Gurlitt ausgestellt hatte. Starke
Kontraste sind in diesen beiden Namen aus-
geprägt. Van Gogh, einer der stärksten Re-
präsentanten des absoluten Rahmenbildes; der
letzte Nachfahre des großen Millet, ein Mann
von ungeheuerer Expansionskraft, der seine
Energie aber nicht wie Rimbaud auf das grenzen-
lose Erfassen des Lebens selber richtete, son-
dern, zu seiner Qual, auf die Malerei, und dazu
noch auf die enger begrenzte, auf die Malerei
des Objekts. Das wurde sein Unglück; er ver-
zehrte sich in der vergeblichen Leidenschaft,
die glühenden Eindrücke, die er von der Na-
tur erhielt, mit den schwachen Mitteln der Öl-
farben zu bannen. Seine hinterlassenen Werke
aber sind groß und voller terribiltä, titanen-
hafte Bruchstücke unerhörter Selbstbekenntnisse.
Dieser ungebändigten Naturkraft gegenüber steht
die strenge Formkonvention und tektonische
Selbstbegrenzung Melchior Lechters; der de-
korative Künstler voller hoher Kultur und Vor-
nehmheit. Die Glasgemälde für das Landesmuseum
in Münster i. W. können sich, ausgeführt, trotz
ihrer tiefen Farben nicht neben den Entwürfen und
den Studien Lechters behaupten; wieviel von
des Künstlers Geist geht bei der handwerklichen
Übertragung verloren! Lechter ist wohl unser
größter Buchkünstler; die glühende Feierlichkeit
der Gotik in ihrer größten Zeit (Straßburg, Sainte
Chapelle) lebt in ihm; jede der ausgestellten
Zeichnungen stellt einen kostbaren Besitz an
Kunst und Kultur dar, Kunstgewerbe in dem
edelsten Sinne, wie Morris es verstand. Das
präraffaelitische Element, das in Lechters
Schaffen zu stecken scheint, ist ein sehr ge-
läutertes; der Deutsche kann das von sich aus,
was die weniger kräftigen Engländer doch nur
mit fremden Hilfsmitteln unvollkommen gaben.
Wir wollen aber nicht undankbar sein und
gerne gestehen, wie viel wir ihnen und ihrer
Kultur verdanken, wenn auch unsere reifsten
Künstler ihre Leistungen schon hinter sich ge-
lassen haben.
An kleineren Kollektionen gibt es hier immer
viel Gutes zu sehen. Da waren gleichzeitig
mit van Gogh bei Cassirer französische Bilder
ausgestellt, köstliche Landschaften: Corot und
Daubigny entzückten neben den jüngeren Bou-
din, einem wundersamen Träumer, der glück-
selige Farben sah; Diaz, Dupre, Jongkind
und so weiterhin, fast alle Namen der glänzen-
Zeit von Barbizon in sehr guten Bildern. Ihnen
folgten im April Deutsche; bis auf Paul Baum,
 
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