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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 1. Halbband, Heft 1 - 6.1908

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Heft 4
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Voss, Hermann: Charakterköpfe des Decento: I. Massimo Stanzioni
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https://doi.org/10.11588/diglit.70400#0274

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Charakterköpfe des Secento
I.
MASSIMO STANZIONI
Von Hermann Voss
Keiner der Vorwürfe, die das verflossene Jahrhundert gegen die ihm fremd ge-
wordene Kunst des italienischen Secento erhoben hat, entbehrt so der Berechtigung
wie jener, es habe damals eine allgemeine Vermischung der Lokalschulen und Lokal-
kunstcharaktere stattgefunden. Wohl ist es wahr, daß die Einflüsse hin- und her-
gespielt haben, daß Bologna auf Rom, dieses auf Neapel gewirkt hat, allein schon das
Quattrocento — vom Cinquecento zu schweigen — kannte Vorgänge dieser Art —
man erinnere sich der Einwirkung Donatellos auf die Kunst von Padua, aus der Man-
tegna hervorging, der seinerseits die venezianische Kunst aufs stärkste beeinflußt hat.
Nicht richtig ist dagegen, was von einer durchgehenden Vermischung der landschaft-
lichen Charaktere behauptet worden ist: wenn wir heute einen florentinischen und
einen bolognesischen Secentisten nicht mit der gleichen Sicherheit voneinander zu
scheiden wissen wie etwa einen quattrocentistischen Umbrier von einem Florentiner,
so liegt das nicht daran, daß dort tatsächlich weniger Unterschiede vorhanden wären,
sondern an unserer mangelhaften Fähigkeit, uns in diese späteren Werke einzufühlen.
Wie sehr die landschaftlichen Besonderheiten bis ins Secento bestehen blieben, dafür
gibt es ein charakteristisches Beispiel: die Schule von Siena. Wie groß war doch die
Gefahr für die kleine, sehr in den Hintergrund gedrängte Stadt, eine bloße Kolonie
von Florenz oder auch von dem weithin wirkenden Rom zu werden! Aber Rutilio
Manetti, der in seiner Ruhe auf der Flucht (S. Pietro alle Scale) eines der schönsten
und reinsten Kunstwerke der ganzen Periode schuf, ferner der heitere Franc. Rustici,
die Ventura und Arcangelo Salimbeni, die Vanni und andere haben so sehr ihren
eigenen Ton, wie nur irgend ein sienischer Trecentist — die ganze Sieneser Schule
bildet bei all den Einwirkungen, die sie von außen erfuhr, eine in sich geschlossene,
unbezweifelbare Einheit.
Und wieviel mehr haben im 17. Jahrhundert diejenigen Schulen ihren eigenen
Charakter, die in eben jener Epoche ihren Höhepunkt erreichten oder sich damals erst
aus wenig bedeutenden Anfängen heraus zur Blüte entwickelten! Im besonderen denkt
man hier an die neapolitanische Schule, die früher stark von Toscana einer-, den Nieder-
landen andererseits beherrscht, auch jetzt noch fremde Einflüsse aufnimmt, aber neben
den Schülern der Römer und Bolognesen eine Schar von Künstlern aufweist, die völlig
ihr eigenes Gesicht zeigen. Ja, man geht nicht zu weit, wenn man in den Werken,
die damals Domenichino und Guido Reni in Neapel schufen, bereits Rückwirkungen
jener Malerschule auf die Großmeister des italienischen Nordens konstatiert. Noch viel
mehr gilt das von dem Bolognesen Lanfranco, der lange und viel in Neapel gearbeitet
hat und unter dem Eindruck jenes freieren und bewegteren Daseins seinen Dekorations-
 
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