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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 2.1909

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H. Jantzen. Das holländische Kirchenstück des XVII. Jahrhunderts

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Abb. 3. PIETER SAENREDAM, St. Bavokerk
in Haarlem


als Architekturmaler genannten Berckheyde hervorgeht, daß das XVII. Jahrhundert
seinen Bildern eine gesonderte Stellung zuwies.1)
Für das Architekturbild ergibt sich demnach auf der höchsten Entwicklungsstufe,
die zeitlich etwa das dritte Viertel des XVII. Jahrhunderts umfaßt, als wesentlicher
Inhalt die Darstellung des Kirchenraumes.
Zu Beginn des Jahrhunderts war das Problem
weiter gefaßt, wie es schon ein erster Blick
auf das Gegenständliche lehrt und wie es
auch in der sprachlichen Benennung zum
Ausdruck kommt. Das Architekturbild wird
sprachlich als „perspectyff stuck" oder ein-
fach als „perspectyff" begriffen, also ganz
allgemein als ein Bild von starker per-
spektivischer Wirkung. Es spielt noch ein
wenig die Auffassung der Perspektivmalerei
des XVI. Jahrhunderts hinein, deren auf
stärkste Panoptikumillusion berechnete Kunst-
stücke in ihrer Wirkung auf das Publikum
van Mander gelegentlich der Biographie des
Hans Vredeman so amüsant zu schildern
weiß. Man malte zu Beginn des neuen
Jahrhunderts zwar schon vorwiegend Kirchen-
räume, aber doch nicht wirklich gesehene
Kirchen, sondern beliebig erdachte Räume,
deren perspektivische Tiefenwirkung die
Hauptsache war und denen gegenüber das
Publikum sich verhielt, wie heute noch
jene Galeriebesucher, die eine Perspektive
durch die hohle Hand betrachten. Ferner
malten diese Architekturmaler Gebäude-
gruppen, Höfe, Säulenhallen von derselben
bestimmten perspektivischen Wirkung wie

Amsterdam, Rijksmuseum

ihre Innenräume. Auch die Bewertung dieser
Arbeiten entsprach der angedeuteten Auf-
fassung zu dieser Zeit auf merkwürdige Weise. Man suchte gleichsam die per-
spektivische Wirkung quantitativ zu fassen, indem man die Anzahl der dargestellten
Pfeiler und Säulen berechnete. So verpflichtet sich der Architekturmaler Jan van Vucht

9 Die Berckheyde werden erst in einer Geschichte des Straßenbildes ihren richtigen
Platz einnehmen. Wer sich einmal mit holländischer Malerei des XVIII. Jahrhunderts beschäftigen
wird, hat das Straßenbild notwendig als selbständige Bildgattung zu behandeln, dessen lange
und interessante Entwicklung vom XV. Jahrhundert bis in die jüngste Zeit sich verfolgen läßt
und das für die Kenntnis holländischer Malerei des XVIII. Jahrhunderts geradezu in erste Linie
zu rücken ist.
 
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