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Monatshefte für Kunstwissenschaft
Es ist selbstverständlich, daß die Verschiebungen des gegenständlichen Interesses
im Laufe des Jahrhunderts sich entsprechend der Problementwicklung des Architektur-
bildes gestalteten, worauf hier nicht eingegangen werden soll. Festzustellen war nur,
daß das Kirchenstück im Kernpunkt jener Entwicklung steht. Aber noch bleiben
zwei Fragen: warum ist das Architekturbild im wesentlichen Kirchenstück und wie
erklärt sich diese Bildgattung als Erscheinung gerade der holländischen Malerei?
Da ist zunächst die Tatsache, daß im Jahrhundert des Barock keine Malerei
wie die holländische in gleichem Maße eine prinzipielle und intensive Auseinander-
setzung mit dem Raume bedeutet. (Denn der Barockstil hat die allgemeine Tendenz,
die bildenden Künste zu einer neuen Auseinandersetzung mit dem Raume zu zwingen,
wobei in verschiedenen Ländern eine Kunst die Führung nimmt: in Italien die Archi-
tektur, in Holland die Malerei.) Fragt man, wo innerhalb dieser Tatsachen dem Maler
der Raum am wirksamsten sich aufdrängen mußte, so wird die Antwort lauten:
zuerst in der freien Landschaft (als ungeformter Raum), die den unmittelbaren Eindruck
unendlicher Raumkontinuität weckte. Und andererseits in der Architektur (als geformter
Raum), und deren durchgebildester Erscheinung: der Kirche, die wiederum den Raum
als etwas unmittelbar Gegebenes zu Sinnen führte.
Das holländische Architekturbild als Kirchenstück erklärt sich so als Problem
einer Raumdarstellung, die ein faßbares, bestimmt durchgebildetes und den Beschauer
allseitig umschließendes Raumvolumen zu bewältigen sucht. Ganz anders in Italien,
wo die Architekturmalerei nicht wie im Norden das die Form erfüllende Raumvolumen
darstellen will, sondern die Form selbst als plastische Begrenzung des Raumes. Diese
Malerei hat daher ein vom Norden prinzipiell unterschiedenes Verhältnis zum Innen-
raum überhaupt. Sie ist Darstellung einzelner Bauglieder oder Außenarchitektur.
Nach dem Gesagten war es also weder nötig, daß Holland besonders schöne
Kirchen noch daß es eine besonders entwickelte Architektur besaß, um doch die Heimat
des Architekturbildes zu werden. Landschaft und Kirchenstück sind polare Gegensätze
innerhalb der Gesamtentwicklung der holländischen Malerei, soweit sie auf Darstellung
des Raumes ausgeht, und dies wird bestätigt, wenn der Nachweis geführt wird, daß
die Entwicklungsabschnitte für das Kirchenstück im großen und ganzen dieselbe Geltung
haben sowohl für die Landschaft wie für das Seestück, den Wohnraum und jede
andere Bildgattung.
Monatshefte für Kunstwissenschaft
Es ist selbstverständlich, daß die Verschiebungen des gegenständlichen Interesses
im Laufe des Jahrhunderts sich entsprechend der Problementwicklung des Architektur-
bildes gestalteten, worauf hier nicht eingegangen werden soll. Festzustellen war nur,
daß das Kirchenstück im Kernpunkt jener Entwicklung steht. Aber noch bleiben
zwei Fragen: warum ist das Architekturbild im wesentlichen Kirchenstück und wie
erklärt sich diese Bildgattung als Erscheinung gerade der holländischen Malerei?
Da ist zunächst die Tatsache, daß im Jahrhundert des Barock keine Malerei
wie die holländische in gleichem Maße eine prinzipielle und intensive Auseinander-
setzung mit dem Raume bedeutet. (Denn der Barockstil hat die allgemeine Tendenz,
die bildenden Künste zu einer neuen Auseinandersetzung mit dem Raume zu zwingen,
wobei in verschiedenen Ländern eine Kunst die Führung nimmt: in Italien die Archi-
tektur, in Holland die Malerei.) Fragt man, wo innerhalb dieser Tatsachen dem Maler
der Raum am wirksamsten sich aufdrängen mußte, so wird die Antwort lauten:
zuerst in der freien Landschaft (als ungeformter Raum), die den unmittelbaren Eindruck
unendlicher Raumkontinuität weckte. Und andererseits in der Architektur (als geformter
Raum), und deren durchgebildester Erscheinung: der Kirche, die wiederum den Raum
als etwas unmittelbar Gegebenes zu Sinnen führte.
Das holländische Architekturbild als Kirchenstück erklärt sich so als Problem
einer Raumdarstellung, die ein faßbares, bestimmt durchgebildetes und den Beschauer
allseitig umschließendes Raumvolumen zu bewältigen sucht. Ganz anders in Italien,
wo die Architekturmalerei nicht wie im Norden das die Form erfüllende Raumvolumen
darstellen will, sondern die Form selbst als plastische Begrenzung des Raumes. Diese
Malerei hat daher ein vom Norden prinzipiell unterschiedenes Verhältnis zum Innen-
raum überhaupt. Sie ist Darstellung einzelner Bauglieder oder Außenarchitektur.
Nach dem Gesagten war es also weder nötig, daß Holland besonders schöne
Kirchen noch daß es eine besonders entwickelte Architektur besaß, um doch die Heimat
des Architekturbildes zu werden. Landschaft und Kirchenstück sind polare Gegensätze
innerhalb der Gesamtentwicklung der holländischen Malerei, soweit sie auf Darstellung
des Raumes ausgeht, und dies wird bestätigt, wenn der Nachweis geführt wird, daß
die Entwicklungsabschnitte für das Kirchenstück im großen und ganzen dieselbe Geltung
haben sowohl für die Landschaft wie für das Seestück, den Wohnraum und jede
andere Bildgattung.