Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Monatshefte für Kunstwissenschaft — 2.1909

Citation link:
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/monatshefte_kunstwissenschaft1909/0146

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
138

Monatshefte für Kunstwissenschaft

Rückstrich von oben-außen nach unten-innen gehende, während die komplizierteste die
dieser entgegengesetzte Diagonale ist, da dazu die Hand über das Gelenk nach innen
gedreht werden muß. Daraus geht hervor, daß die freiesten Linien des linkshändigen
Zeichners die unfreiesten des rechtshändigen sind und umgekehrt. Da die Bewegung
zur Strichführung eine Zirkeldrehung der Hand ist, so haben wirklich freie Linien,
d. h. solche, deren Form nicht durch das zu zeichnende Objekt bedingt sind, eine
kleine Tendenz zur Rundung. (Wir finden sie am ausgeprägtesten bei Schraffierungen,
oft auch in der Art, in der ein Kontur in mehrere Linien aufgelöst ist.) Daher ergibt
sich, daß die freieste Diagonale Tendenz zur Wölbung, die ihr entgegengesetzte zur
Höhlung, die vertikale zur Ausbiegung, die horizontale, je nach der Handstellung, in der
sie gezogen ist, zur Höhlung oder Wölbung hat; die gewölbte ist besonders bei langen
die gebräuchlichere. Aus diesem Grunde kann bei einer Linie trotz gleicher Richtung
entschieden werden, mit welcher Hand sie gezogen ist.
Es wird sich, je ausgesprochener der Charakter eines Künstlers ist, desto
sicherer eine individuelle Handhabung des Stiftes zeigen. So wird sich z. B. eine
Vorliebe für Strichführung von innen nach außen oder von außen nach innen oder
auch Maniriertheiten, wie übertriebene Anwendung unfreier Diagonalen (wie zu Kreuz-
strich), feststellen lassen. Deren scharfe Beobachtung kann zur Bestimmung von Zeich-
nungen ausgenutzt werden. Einen Anhalt dazu bietet ein Vergleich mit der Hand-
schrift. Der Schreiber der Steilschrift wird eine stärkere Tendenz zu vertikaler und
horizontaler Lage haben als der schräger Schrift.
Die Zeichnungen
Wenn wir das Verso dieses Blattes auf die Strichführung hin prüfen, finden
wir, daß in seiner gewöhnlichen Ansicht nur die untere Studie zum „Engel über der
Säule", deren Ergänzung am Rande und die Kopf- und Armpartie der oberen Studie
derselben Figur rechtshändig gezeichnet erscheinen. Die andere Partie der letzteren
zeigt so die vollkommene linkshändige Tendenz: die freien Striche von links nach
rechts und gewölbt.1) Von der oberen Schmalseite, die im übrigen linkshändige
Richtung zeigt, und von der rechten Breitseite her angesehen, sind die freien Diago-
nalen gehöhlt. Von der linken Breitseite her zeigt sie aber die typischen Tendenzen
9 Ich war nicht wenig erstaunt, als ich im Zusammenhänge mit meinen Beobachtungen
auf die Stelle bei Julian Klaczko in den „Florentiner Plaudereien" aufmerksam gemacht wurde:
„Ein anderer nicht minder seltsamer Zug: dieser unermüdlicher Arbeiter (Michelangelo) .... war
linkshändig." Herr Professor Steinmann war so gütig, mich diesbezüglich auf die Stelle der
„Autobiografia di Raffaello di Montelupo", Vasari (Editione Sanzoni IV, pag. 553) aufmerksam zu
machen: „Qui si puö metere ancora come io disegno con la mano manca, e una volta sendo a
Roma a disegnare I'arco di Trasi da Coloseo, passö Michelagnolo e fra Bastiano del Piombo, si
fermorono a vedere, e perche l'uno e l'altro era mancino naturale, inperö non facevano niente con
la mancina, salvo le cose di forza." In der Anmerkung: „Queste parole spiegano come riguardo
Michelagnolo si debba intendere questa particolaritä (Gaye)." Michelangelo hat also rechtshändig
gezeichnet und gemalt. Wie verhält es sich aber bei solchen Marmorarbeiten, die Kraft ver-
langen, wie das Zuschlägen eines Blockes? Sollte er da nicht den Hammer in der linken, den
Meißel in der rechten Hand gehalten haben? Ich glaube davon am „Matthäus" der Akademie in
der Richtung der Riefungen Anzeichen zu finden.
 
Annotationen