Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Monatshefte für Kunstwissenschaft — 2.1909

Citation link:
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/monatshefte_kunstwissenschaft1909/0164
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
156

Monatshefte für Kunstwissenschaft

perspektivisch verjüngten, kreisrunden, brett-
artigen Nimbus. Links vom Priester steht eine ro-
buste Männergestalt mit rot und weißer, turban-
artiger, hornartig gekrümmter Kopfbedeckung,
engem, dunkelviolettem Wams und Beinkleidern,
gelben Lederstiefeln, der mit beiden Händen ein
breites Schwert auf das Haupt des Knieenden nie-
derfallen läßt. Hinter ihm links erkennen wir einen
großen, bärtigen Mann, mit grünem, rot-
verbrämtem Gewände und charakteristisch ge-
formtem Spitzhut. Eine dritte Gestalt in einer
eisernen Rüstung wird durcli die beiden eben
beschriebenen stark verdeckt. Rechts hinter
dem Knieenden gewahren wir eine Gruppe von
fünf Mönchen, die leicht als dieselben, wie die
auf der erst beschriebenen Tafel erkannt werden
können; sie starren mit dem Ausdruck des Ent-
setzens auf den Vorgang im Vordergründe,
während der bärtige Mann links mit neugierigen
Blicken über die Achsel des Henkerknechtes das
Ereignis verfolgt.
Betrachten wir die Darstellungen der beiden
Tafeln als Bestandteile eines zusammengehörigen
Ganzen, so können wir ungefähr folgenden Vor-
gang herauslesen. Ein heiliger Bischof, der
eben mit seiner Assistenz in der Kirche die
heilige Messe liest, wird überfallen und vom
Henker auf den Stufen des Altars niedergemacht;
eine zweite Szene zeigt uns den Todten auf
der Bahre, umgeben von betenden Mönchen;
da plötzlich schweben drei Engel von oben
herab als Verkünder der dem Todten zuteil
gewordenen göttlichen Gnade. Die Reihenfolge
der Grazer Aufstellung ist also falsch; sinn-
gemäß geht Nr. 13 vor Nr. 12.
Die Szenen beziehen sich zweifelsohne auf
die Legende des heiligen Stanislaus Szepanow
von Krakau; dieser machte sich durch wieder-
holte Ermahnungen dem ehebrecherischen König
Boleslav derart verhaßt — so berichtet die
Legende —, daß er endlich flüchten mußte. Die
Häscher des Königs überfielen ihn aber in
der Kirche des heiligen Michael bei Krakau und
ermordeten ihn während er die Messe celebrierte
(im Jahre 1079). Boleslav verlor später sein
Reich und mußte flüchten; in Ossiach in Kärnten
trat er ins Kloster und starb auch daselbst.1)
Die Darstellung des Stanislauslegende ist in
der mittelalterlichen Kunst ziemlich selten.
H. Detzel2) berichtet zwar von einer Darstellung
des Lebens und des Martertodes des Heiligen
auf einem Flügelaltar in der protestantischen
Kirche von Mühlbach in Siebenbürgen; die An-

') Vincent Kadlubek. Ein historisch-kritischer Beitrag
zur slavischen Literatur, aus dem Polnischen des Grafen

L Ossolinski von Sam. Gottl. Linde. (Warschau, 1822).
-) H. Detzel. Christliche Ikonographie.

gäbe scheint aber nach der von mir eingezoge-
nen Erkundigung als falsch. Dagegen ver-
merkt die Kunsttopographie des Herzogtums
Kärnten (1889) S. 255 in Ossiach ein Gemälde,
in dessen Mitte der goldgerüstete König Boleslav
steht und in dessen Seitenfeldern Szenen aus
dem Leben des Königs und die Ermordung des
heiligen Stanislaus dargestellt sind. Die Tafel
trägt die Inschrift:„rex boleslavs anno MLXXXIX".
Schwieriger gestaltet sich die Beantwortung der
Frage nach dem Künstler der beiden Bilder.
Die ursprüngliche Zuweisung der Tafeln an
Grünewald — wie es wohl richtig statt Grün-
wald heißen sollte — fällt heute, da das Schaffen
Grünewalds soweit bekannt vollständig vorliegt ')
als gegenstandslos weg. Wir stehen also vor
der Alternative, ist die Nennung Pachers rich-
tig oder nicht? Der Name Pachers und seiner
Werkstätte wurde im Laufe der Zeit zum Schlag-
wort2) zum Deck- und Sammelnamen für das
stilistisch und geographisch ziemlich eindeutig
umschreibbare Kunstschaffen einer ganzen
Künstlergeneration, deren Tätigkeit zwischen
Bruneck und Bozen im weiten Umkreise zu
verfolgen ist. Müssen wir also zur Vervoll-
ständigung des Bildes jener genannten Kunst-
etappe eine ganze Reihe von Künstlernamen
aufführen3), so kann es doch keinem Beobachter
entgehen, daß die ganze Künstlergruppe vom
Brunecker Meister Michael Pacher überragt
wird; er erscheint durch die großzügige Auf-
fassung seiner Sujets, der perspektivischen Kühn-
heit seiner Konzeption und durch den Glanz
des Kolorits als deren natürliches Haupt.
Ein abgeschlossenes Urteil über sein Werk
wird wohl noch lange nicht gefällt werden
können; doch sehen wir heute namentlich durch
die Ausscheidung seiner beiden Namensgenossen
Friedrich und Ernst, bedeutend klarer und kön-
nen das typische des Stils mit einiger Sicherheit
erfassen.4)
Suchen wir für die Grazer Tafeln nach stilis-
tisch analogen Werken, so fallen uns die vier
Tafeln der Wolfgang-Legende vom sogen.
Kirchenväteraltar in Augsburg vor allem auf.0)

9 H. A. Schmid. Die Gemälde und Zeichnungen von
Matthias Grünewald.

-) Stiassny. Repertorium für Kunstwissenschaft.
Bd. XXIII. S. 38.

3) H. Semper. „Die Brixner Malersdiule des XV. und
XVI. Jahrhunderts und ihr Verhältnis zu Michael Pacher."
Zeitschrift d. Ferdinandäums (Innsbruck). III. F. 35. Heft.
„Die Sammlung alttiroler Tafelbilder im erzbischöf-
lichen Klerikalseminar zu Freising." Oberbayr. Archiv f.
vaterländische Geschichte. Bd. 49. S. 432 ff.

4) Semper a. a. O.
Karl Atz. Kunstgeschichte von Tirol und Vorarlberg.
(2. Aufl. 1909). S. 775f. 777f. 787ff.
Stiassny. Repert. (1900). S. 38.

5) C. Strompen. Repert. (1895). S. 114f. „Der Kirchen-
väteraltar Michael Pachers in der k. Gemäldegalerie in
Augsburg und der k. Pinakothek in München."
 
Annotationen