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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 2.1909

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A. Reichel. Zwei Alttiroler Tafelbilder der Landes-Bildergalerie in Graz 151

Groß, plastisch und als bedeutsam hervorgehoben
stehen die Hauptfiguren soweit als möglich in
den Vordergrund gerückt und nehmen fast die
ganze Höhe der nahezu quadratischen Bilder
ein, während die Nebenfiguren, perspektivisch
verkürzt und kleiner, in den Hintergrund ge-
drängt erscheinen. Ausblicke auf spezivisch
deutsch-südtirolische Straßenansichten geben den
dargestellten Vorgängen einen interessanten
Hintergrund, der das dargestellte Geschehnis nicht
als eine losgelöste Szene erscheinen läßt, sondern
eine zeitlich und örtlich bestimmte Folie bietet.1)
Die stilistische Verwandtschaft der Grazer
Tafeln mit den Augsburger Bildern läßt sich im
Großen wie auch in allen Details nachweisen.
Die für Michael Pacher charakteristischen
mantegnesk gespreizten Figürchen2) beleben
hier wie dort den Hintergrund. Mit fast
robuster Rücksichtslosigkeit erscheinen die den
Vorgang verdeutlichenden Geräte und Gegen-
stände in das Bild gestellt; der Altar, von
schräg rückwärts gesehen, die Bahre in kühner
Verkürzung bedeuten kompositionelle Probleme,
die auf den starken norditalienischen Einfluß
hinweisen. Mit diesen Requisitien gliedert der
Künstler den Raum, teilt die Massen und über-
zeugt uns von der räumlichen Anordnung der
Szene. Die Analogien dafür geben uns die
Vorstellung des vor dem Altar liegenden Heiligen
der St. Wolfgang-Legende. Augsburg, Inv.
Nr. 2599b; die Disputation des heiligen Wolf-
gang. Inv. Nr. 2600c.
Wenden wir uns Einzelheiten zu. Da fallen
uns vor allem die fast alt-flandrisch anmutenden
glattrasierten, mit vielen Runzeln bedeckten
Köpfe der Männer auf. Bei all diesen scheint
die dreiviertel Profilansicht bevorzugt; besonders
charakteristisch erscheinen die Augen: über
engen Augenschlitzen wölben sich mondsichel-
förmig geschweifte Lider, während radiale Fält-
chen vom Augenwinkel ausstrahlen. Der mehr
schmale Mund läßt leicht nach abwärts gezogene
Mundwinkel erkennen, die Lippen sind häufig
leicht geöffnet, die Nase etwas hängend. Alles
das sind Charakteristika, die Semper für die
Malweise Michael Pachers eigentümlich erklärt;
man werfe nur einen vergleichenden Blick auf die
genannten Wolfgangbilder in Augsburg, auf die
Darstellungen der Kirchenväter,, auf die Bilder
des St. Wolfganger Altarwerkes und auf andere.
Das deutsche Element in der Kunst Pachers
offenbart sich augenfällig in der Behandlung

') Vgl. Hermann Voss, Ursprung des Donaustiles.
S. 157 ff.

2) Semper a. a. 0.

3) Vgl. auch die Kirchenväter Tafeln im Ferdinandäum
in Innsbruck. Semper a. a. 0. Tfl. 7.

des Faltenwurfes; er fließt aber trotz den
Anklängen an die knittrigen Formen doch recht
frei, in großen Formen und wird den darunter
liegenden Körperformen gerecht. Im Gegensatz
dazu muß man sich an die romanische Freude
am lebhaften Ausdruck erinnert fühlen, beim
Studium der mannigfach variierten Gesten und
Gebärden der Hände. Die Finger — häufig
etwas lang — reden eine ausdrucksvolle Sprache
und lassen dem Forscher recht deutlich er-
scheinen, wie sehr diese Kunst nordischen und
südlichen Einflüssen zugänglich, beiden die
Wage hält und wie groß die Individualität des
Meisters war, der beide Strömungen zur Ein-
heit zu zwingen wußte.
Es erübrigt noch zu erörtern der hohe Licht-
einfall, wie ihn Semper (a. a. 0. S. 42) auf der
Tafel der Geburt Chiisti beschreibt; er weist
auf die Vorliebe für Lichtprobleme, die auch
den Grazer Tafeln nicht fehlen.
Den Rahmen der Vorgänge bildet eine groß-
zügige gotische Architektur, deren Anologie mit
Werken der Hand M. Pachers allenthalben er-
kennbar ist, deren Übereinstimmung so weit
geht, daß wir selbst die Art und Weise, wie
die Quaderlagen zur Wiedergabe gelangen z. B.
auf der Tafel des predigenden hl. Wolfgang in
St. Wolfgang wiederfinden.
Michael Pachers Geist schuf jedenfalls den
Augsburger Kirchenväteraltar. Während aber
nun C. Strompen die vier Kirchenväter als
Originalwerke M. Pachers gelten läßt, glaubt
er in den vier Wolfgangbildern, die sich stilistisch
mit den großen Bildern decken, die Hand eines
M. Pacher außerordentlich nahe stehenden Schü-
lers oder Gehilfen erkennen zu müssen. Friedrich
Pacher, dessen Stil wir aus einer Taufe Christi
kennen1) und der beglaubigt am St. Wolfganger
Altarwerke beteiligt war, kann es nicht sein.
Übrigens sind die Übereinstimmungen der Wolf-
gang Bilder in Augsburg mit den Augsburger
Kirchenvätern und den Tafeln des St. Wolf-
ganger Altars so evidente, daß es mir nicht
berechtigt erscheint, bei den Augsburger Tafeln
an der Hand Michael Pachers zu zweifeln —
einem Zweifel, aus dem uns auch kein Gewinn
erwüchse. Wohl dürfte aber der Umstand, daß
wir auf den großen Tafeln, den für das plastische
Empfinden Michael Pachers eigentümlichen brett-
artigen Nimbus wiederfanden, den wir auf den
Kirchenvätertafeln kennen gelernt haben, ein
Moment sein, das eher für die Autorschaft
Michael Pachers spricht, als wider sie.
Audi auf Parallelerscheinungen im Gebraudi
des Kostümes scheint mir ein Hinweis am Platze.

9 Semper. Oberbayr. Arch. 49. S. 506.
 
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