G. Hübner. Studien über die Benutzung der Antike in der Renaissance 269
mit der praxitelischen Hüftbeugung das Vorbild zu suchen haben; Kopf und Arme
können gefehlt haben, die Stellung der Unterschenkel ist sicher nicht antik.
Im Relief des Brunelleschi hat man in dem Hirten links die „gleichsam pro-
grammatische" Darstellung des Dornausziehers erkannt, den Sixtus IV. 1471 dem
römischen Volke schenkte. Auch der andere Hirt mit der Strigilis geht wohl auf
ein antikes Motiv zurück, ebenso in letzter Linie der sich am Kopfe kratzende Widder1).
Dagegen folgt der Abraham, vor allem in seiner Gewandung, durchaus gotischen
Traditionen. In dem Relief stehen die Ausläufer der Gotik und wiederauflebende
Antike nebeneinander. Welchem Element gehört nun der Isaak an? Ist er ein ein-
faches Weiterentwicklungsprodukt des Trecento oder verdankt er der Antike seine
Entstehung? Man ist wegen der harten, eckigen Bewegung besonders der Beine
geneigt, die Abstammung von der Antike ohne weiters zu verneinen und die Figur
für die primitiv unbeholfene Darstellung wilder Angst zu halten, die dem Temperament
des Künstlers entsprang. C. v. Fabriczy z. B. kommt zu dem Schluß, daß in dem
„Isaak die erste Aktfigur der modernen Kunst vor uns steht, geschaffen ohne An-
lehnung an die Antike, aber mit der Absicht und im Bewußtsein der Überwindung
der schwierigen Aufgabe" 2). Aber wo sind die Vorarbeiten des Trecento, auf denen
Brunelleschi weiterbaute, wenn er diese Figur entwarf? Sie fehlen. In der Beobachtung
des bewegten nackten Körpers hat die Gotik fast nichts geleistet.
Man kann ja beobachten, wie in einer ziemlich unabhängigen Kunstentwicklung
die Bewegungsprobleme auftauchen: In der griechischen Plastik findet sich bekanntlich
der erste Versuch zu einer Drehung des Körpers bei den gefallenen Ägineten, wo der
Körper noch am Nabel wie abgebrochen und falsch angesetzt erscheint; dieser Fehler
ist auf den Olympiametopen und in Myrons Diskobol noch nicht überwunden; erst im
Parthenonwestgiebel ist die Biegung des Körpers vollkommen naturgetreu aufgefaßt 8).
Und erst die Pergamener stellen den Körper in den mannigfachsten Drehungen und
Biegungen dar und bringen Figuren mit drei Drehungsachsen hervor, die dem Isaak
des Brunelleschi entsprechen1). Hier geht also eine jahrhundertelange Entwicklung
voraus, bis man sich diese Probleme stellt und Jahrzehnte gehören dazu, sie zu lösen.
Und das bei einer Kunst, deren Hauptaufgabe die Darstellung des Nackten war.
Soll man glauben, daß die Gotik aus sich selbst ganz unvermittelt nackte
Figuren hervorbrachte, die der griechischen Kunst erst nach Jahrhunderten gelangen?
Das wäre eine erstaunliche Frühreife, für die jede Erklärung fehlt.
Außerdem verfügen die Künstler der Giebelgruppen von Ägina über einen an-
sehnlichen Schatz von anatomischen Kenntnissen, die Brunelleschi abgehen; in den
steifen, leblosen Oberschenkeln und dem unausgebildeten Unterkörper des Isaak zeigt
Brunelleschi, wie eng die Grenzen seines Könnens sind.
Man wird von selbst den Schluß ziehen, daß hier ein Zurückgreifen auf die
ß Venturi, Storia dell' arte italiana VI, S. 128; Fabriczy, Filippo Brunelleschi (1892) S. 14 ff.
2) Fabriczy a. a. 0. S. 16.
") Julius Lange, Darstellung des Menschen in der älteren griechischen Kunst (1899) S. 69 ff.
4) Z. B. der Perser in Aix, Reinach Repertoire de la statuaire II, 198, 3; der Perser im
Vatikan, Clarac Musee de sculpture 859, 2153 Reinach Repertoire I, 525, 2.
mit der praxitelischen Hüftbeugung das Vorbild zu suchen haben; Kopf und Arme
können gefehlt haben, die Stellung der Unterschenkel ist sicher nicht antik.
Im Relief des Brunelleschi hat man in dem Hirten links die „gleichsam pro-
grammatische" Darstellung des Dornausziehers erkannt, den Sixtus IV. 1471 dem
römischen Volke schenkte. Auch der andere Hirt mit der Strigilis geht wohl auf
ein antikes Motiv zurück, ebenso in letzter Linie der sich am Kopfe kratzende Widder1).
Dagegen folgt der Abraham, vor allem in seiner Gewandung, durchaus gotischen
Traditionen. In dem Relief stehen die Ausläufer der Gotik und wiederauflebende
Antike nebeneinander. Welchem Element gehört nun der Isaak an? Ist er ein ein-
faches Weiterentwicklungsprodukt des Trecento oder verdankt er der Antike seine
Entstehung? Man ist wegen der harten, eckigen Bewegung besonders der Beine
geneigt, die Abstammung von der Antike ohne weiters zu verneinen und die Figur
für die primitiv unbeholfene Darstellung wilder Angst zu halten, die dem Temperament
des Künstlers entsprang. C. v. Fabriczy z. B. kommt zu dem Schluß, daß in dem
„Isaak die erste Aktfigur der modernen Kunst vor uns steht, geschaffen ohne An-
lehnung an die Antike, aber mit der Absicht und im Bewußtsein der Überwindung
der schwierigen Aufgabe" 2). Aber wo sind die Vorarbeiten des Trecento, auf denen
Brunelleschi weiterbaute, wenn er diese Figur entwarf? Sie fehlen. In der Beobachtung
des bewegten nackten Körpers hat die Gotik fast nichts geleistet.
Man kann ja beobachten, wie in einer ziemlich unabhängigen Kunstentwicklung
die Bewegungsprobleme auftauchen: In der griechischen Plastik findet sich bekanntlich
der erste Versuch zu einer Drehung des Körpers bei den gefallenen Ägineten, wo der
Körper noch am Nabel wie abgebrochen und falsch angesetzt erscheint; dieser Fehler
ist auf den Olympiametopen und in Myrons Diskobol noch nicht überwunden; erst im
Parthenonwestgiebel ist die Biegung des Körpers vollkommen naturgetreu aufgefaßt 8).
Und erst die Pergamener stellen den Körper in den mannigfachsten Drehungen und
Biegungen dar und bringen Figuren mit drei Drehungsachsen hervor, die dem Isaak
des Brunelleschi entsprechen1). Hier geht also eine jahrhundertelange Entwicklung
voraus, bis man sich diese Probleme stellt und Jahrzehnte gehören dazu, sie zu lösen.
Und das bei einer Kunst, deren Hauptaufgabe die Darstellung des Nackten war.
Soll man glauben, daß die Gotik aus sich selbst ganz unvermittelt nackte
Figuren hervorbrachte, die der griechischen Kunst erst nach Jahrhunderten gelangen?
Das wäre eine erstaunliche Frühreife, für die jede Erklärung fehlt.
Außerdem verfügen die Künstler der Giebelgruppen von Ägina über einen an-
sehnlichen Schatz von anatomischen Kenntnissen, die Brunelleschi abgehen; in den
steifen, leblosen Oberschenkeln und dem unausgebildeten Unterkörper des Isaak zeigt
Brunelleschi, wie eng die Grenzen seines Könnens sind.
Man wird von selbst den Schluß ziehen, daß hier ein Zurückgreifen auf die
ß Venturi, Storia dell' arte italiana VI, S. 128; Fabriczy, Filippo Brunelleschi (1892) S. 14 ff.
2) Fabriczy a. a. 0. S. 16.
") Julius Lange, Darstellung des Menschen in der älteren griechischen Kunst (1899) S. 69 ff.
4) Z. B. der Perser in Aix, Reinach Repertoire de la statuaire II, 198, 3; der Perser im
Vatikan, Clarac Musee de sculpture 859, 2153 Reinach Repertoire I, 525, 2.