M, Wackernagel. Sebastiano del Piombo in den vatikanischen Stanzen 321
werden, für das ganze Heliodorbild und für den größten Teil der „Messe von
Bolsena". Hier aber finden sich nun auch Partien, in denen, wie mir scheint, fremde
Klänge von einer, mit der raffaelischen durchaus nicht übereinstimmenden selbständigen
künstlerischen Eigenart auftreten.
Die zwei beigegebenen Teilaufnahmen zeigen, die eine (Abb. 1), eine Gruppe von
Zuschauern aus der linken Bildhälfte, die andere (Abb. 2) die knieenden Schweizer-
gardisten rechts vorn. Die Unterschiede in der ganzen Malweise und Auffassung treten
schon auf den ersten Blick deutlich hervor: Bei den Schweizern eine ruhige sorg-
fältig beobachtende Zeichnung mit feinlienigen aber deutlichen Umrissen und sehr
zarter Modellierung in gleichmäßig hellem Licht. Auf der anderen Seite, bei der
Frauengruppe, eine breite schwungvolle Manier, die unter Vermeidung aller linearen
Mittel nur die hauptsächlichen Formen in einer kräftigen aber weich gerundeten Plastik
wiedergibt; ein ausgesprochener Freskostil mit deutlich konstrastierenden Licht- und
Schattenmassen von einheitlicher, geschlossener Fernwirkung.
Trotzdem ist es beim Anblick des Originals nicht diese Partie sondern die
Schweizergruppe und überhaupt die Bildhälfte rechts, die zuerst die Blicke fesselt, und
das zwar dank ihrem auffallend reichen und warmen Kolorit, dem gegenüber die
linke Bildhälfte mit einer gewissen kalten Buntfarbigkeit behaftet scheint.
Es ist durchaus natürlich, daß für uns moderne Betrachter mit unsern, durch
die neue pleinairistische Malerei geschulten, darum besonders für koloristische Reize
empfänglichen Augen die ausgesprochen malerischen Vorzüge der rechten Bildhälfte
besonders ansprechend und einleuchtend sein müssen. Nun aber wird — - wie in der
genannten Arbeit von Dollmayr — ohne Weiteres angenommen, daß auf diese kolo-
ristischen Vorzüge auch gerade Raffaels letztes Streben hier aus gegangen sei, und
daß die für unsere Anschauung am meisten fesselnde Partie in ganz besonderem Maß
noch den Stempel seines eigensten Kunstvermögens bewahrt habe, sei es als allein
völlig eigenhändiger, sei es als allein von aller Übermalung verschonter Teil.
Dagegen glaube ich nun darlegen zu können daß: einmal die von einem
fälschlich hereingebrachten Gesichtspunkt aus verurteilten und mißachteten Teile des
Freskobildes in ihrer ganzen Auffassung, Formengebung und Malweise auf das engste
mit den übrigen sicher raffaelischen Bildern verknüpft sind und sich als ein festverkettetes
Glied innerhalb seiner in den Stanzen sich vollziehenden Stilentwicklung darstellen,
daß andererseits die uns bestrickenden malerischen Reize der rechten Bildhälfte
Raffaels Kunstweise jedenfalls in diesen Jahren — noch völlig fernliegen, und auf eine
hier hereingezogene fremde — nach ihrer koloristischen Feinheit anscheinend in Venedig
geschulte Künstlerpersönlichkeit deuten.
Was oben zur formalen Charakteristik der Figurengruppe in der linken Bild-
hälfte bemerkt wurde ist in vollem Umfang zutreffend auch für alle anderen zeitlich
benachbarten Malereien Raffaels, die Tafelbilder nicht ausgenommen.
Gleich der hier besonders ins Auge fallende jugendliche Kopf der stehenden
Frauenfigur in seiner für den Gefühlsausdruck besonders wohl geeigneten schrägen
Profilansicht mit der einfachen sanftgebogenen Kurvenlinie von Stirn und Nase, dem
wenig eingesenkten Auge, dem fleischigen Mund mit etwas vorgeschobener Oberlippe
werden, für das ganze Heliodorbild und für den größten Teil der „Messe von
Bolsena". Hier aber finden sich nun auch Partien, in denen, wie mir scheint, fremde
Klänge von einer, mit der raffaelischen durchaus nicht übereinstimmenden selbständigen
künstlerischen Eigenart auftreten.
Die zwei beigegebenen Teilaufnahmen zeigen, die eine (Abb. 1), eine Gruppe von
Zuschauern aus der linken Bildhälfte, die andere (Abb. 2) die knieenden Schweizer-
gardisten rechts vorn. Die Unterschiede in der ganzen Malweise und Auffassung treten
schon auf den ersten Blick deutlich hervor: Bei den Schweizern eine ruhige sorg-
fältig beobachtende Zeichnung mit feinlienigen aber deutlichen Umrissen und sehr
zarter Modellierung in gleichmäßig hellem Licht. Auf der anderen Seite, bei der
Frauengruppe, eine breite schwungvolle Manier, die unter Vermeidung aller linearen
Mittel nur die hauptsächlichen Formen in einer kräftigen aber weich gerundeten Plastik
wiedergibt; ein ausgesprochener Freskostil mit deutlich konstrastierenden Licht- und
Schattenmassen von einheitlicher, geschlossener Fernwirkung.
Trotzdem ist es beim Anblick des Originals nicht diese Partie sondern die
Schweizergruppe und überhaupt die Bildhälfte rechts, die zuerst die Blicke fesselt, und
das zwar dank ihrem auffallend reichen und warmen Kolorit, dem gegenüber die
linke Bildhälfte mit einer gewissen kalten Buntfarbigkeit behaftet scheint.
Es ist durchaus natürlich, daß für uns moderne Betrachter mit unsern, durch
die neue pleinairistische Malerei geschulten, darum besonders für koloristische Reize
empfänglichen Augen die ausgesprochen malerischen Vorzüge der rechten Bildhälfte
besonders ansprechend und einleuchtend sein müssen. Nun aber wird — - wie in der
genannten Arbeit von Dollmayr — ohne Weiteres angenommen, daß auf diese kolo-
ristischen Vorzüge auch gerade Raffaels letztes Streben hier aus gegangen sei, und
daß die für unsere Anschauung am meisten fesselnde Partie in ganz besonderem Maß
noch den Stempel seines eigensten Kunstvermögens bewahrt habe, sei es als allein
völlig eigenhändiger, sei es als allein von aller Übermalung verschonter Teil.
Dagegen glaube ich nun darlegen zu können daß: einmal die von einem
fälschlich hereingebrachten Gesichtspunkt aus verurteilten und mißachteten Teile des
Freskobildes in ihrer ganzen Auffassung, Formengebung und Malweise auf das engste
mit den übrigen sicher raffaelischen Bildern verknüpft sind und sich als ein festverkettetes
Glied innerhalb seiner in den Stanzen sich vollziehenden Stilentwicklung darstellen,
daß andererseits die uns bestrickenden malerischen Reize der rechten Bildhälfte
Raffaels Kunstweise jedenfalls in diesen Jahren — noch völlig fernliegen, und auf eine
hier hereingezogene fremde — nach ihrer koloristischen Feinheit anscheinend in Venedig
geschulte Künstlerpersönlichkeit deuten.
Was oben zur formalen Charakteristik der Figurengruppe in der linken Bild-
hälfte bemerkt wurde ist in vollem Umfang zutreffend auch für alle anderen zeitlich
benachbarten Malereien Raffaels, die Tafelbilder nicht ausgenommen.
Gleich der hier besonders ins Auge fallende jugendliche Kopf der stehenden
Frauenfigur in seiner für den Gefühlsausdruck besonders wohl geeigneten schrägen
Profilansicht mit der einfachen sanftgebogenen Kurvenlinie von Stirn und Nase, dem
wenig eingesenkten Auge, dem fleischigen Mund mit etwas vorgeschobener Oberlippe