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Monatshefte für Kunstwissenschaft
Abb. 1. Zuschauergruppe aus der „Messe von Bolsena"
ist ein echt raffaelischer Typus, der mit allen den genannten Einzelzügen an verschie-
denen Stellen sich wiederholt. Erfindet sich zuerst völlig ausgebildet bei dem schwebenden
Engel zu äußerst rechts in der Disputa; er kehrt wieder z. B. in einem Tafelbild,
dessen Entstehung wohl noch etwas später als die „Messe von Bolsena" anzusetzen ist,
der sog. „Madonna del pesce" in Madrid und da sogar in zwei Varianten: beim
kleinen Tobias und beim Engel
der ihn geleitet.
Und wenn wir auch zu den
anderen Köpfen in der linken Hälfte
des Bolsenabildes, genauere Ana-
loga nicht so leicht auffinden, so
bieten sich doch in der allgemeinen
malerischen Behandlung dieser
Köpfe genugsam Anknüpfungs-
punkte an Raffaels eigensten Stil.
Die Art etwa wie gewisse männ-
liche Köpfe unter den Zuschauern
auf dem Bolsenabild mit breiten
Lichtern und starken Schattentiefen
energisch belebt und in Wirkung
gesetzt sind, läßt sich an vielen
Stellen der raffaelischen Malereien
wieder beobachten; ich nenne nur
den Aristoteles aus der Schule
von Athen als Gegenstück zu dem
auch im Typus nahe überein-
stimmenden bärtigen Mann, der
sich oben im Bolsenabild über die
Brüstung lehnt. Auch wie die Haare
behandelt sind, als geschlossene
Masse mit breit aufgetragenen oder
derb gestrichelten Lichtern, in der
Silhouette vielfach kraus gelockt,
oder in ungeordneten buschigen Strähnen gleichsam ausgezackt -— - läßt sich bis in die
Bilder der Segnatura zurückverfolgen. Die massige Gewandbehandlung z. B. bei der
hockenden Frau im Vordergrund stimmt aufs Nächste überein mit der Gewandbehandlung
bei den drei Tugenden unter der „Jurisprudenz".
Es ist stets das Interesse an der kraftvollen plastischen Form und an der reichen
Bewegung was künstlerisch die Figurengestaltung Raffaels bestimmt. Und in dieser
Richtung entwickelt sich auch sein Stil zu immer größerer Breite und Kraft: das zier-
liche und graziöse Element, das noch in der „Schule von Athen" und im „Parnaß"
stark weiterlebte, wird schon in den Wandbildern unter der Jurisprudenz und jeden-
falls im Heliodorzimmer völlig ausgeschaltet.
Monatshefte für Kunstwissenschaft
Abb. 1. Zuschauergruppe aus der „Messe von Bolsena"
ist ein echt raffaelischer Typus, der mit allen den genannten Einzelzügen an verschie-
denen Stellen sich wiederholt. Erfindet sich zuerst völlig ausgebildet bei dem schwebenden
Engel zu äußerst rechts in der Disputa; er kehrt wieder z. B. in einem Tafelbild,
dessen Entstehung wohl noch etwas später als die „Messe von Bolsena" anzusetzen ist,
der sog. „Madonna del pesce" in Madrid und da sogar in zwei Varianten: beim
kleinen Tobias und beim Engel
der ihn geleitet.
Und wenn wir auch zu den
anderen Köpfen in der linken Hälfte
des Bolsenabildes, genauere Ana-
loga nicht so leicht auffinden, so
bieten sich doch in der allgemeinen
malerischen Behandlung dieser
Köpfe genugsam Anknüpfungs-
punkte an Raffaels eigensten Stil.
Die Art etwa wie gewisse männ-
liche Köpfe unter den Zuschauern
auf dem Bolsenabild mit breiten
Lichtern und starken Schattentiefen
energisch belebt und in Wirkung
gesetzt sind, läßt sich an vielen
Stellen der raffaelischen Malereien
wieder beobachten; ich nenne nur
den Aristoteles aus der Schule
von Athen als Gegenstück zu dem
auch im Typus nahe überein-
stimmenden bärtigen Mann, der
sich oben im Bolsenabild über die
Brüstung lehnt. Auch wie die Haare
behandelt sind, als geschlossene
Masse mit breit aufgetragenen oder
derb gestrichelten Lichtern, in der
Silhouette vielfach kraus gelockt,
oder in ungeordneten buschigen Strähnen gleichsam ausgezackt -— - läßt sich bis in die
Bilder der Segnatura zurückverfolgen. Die massige Gewandbehandlung z. B. bei der
hockenden Frau im Vordergrund stimmt aufs Nächste überein mit der Gewandbehandlung
bei den drei Tugenden unter der „Jurisprudenz".
Es ist stets das Interesse an der kraftvollen plastischen Form und an der reichen
Bewegung was künstlerisch die Figurengestaltung Raffaels bestimmt. Und in dieser
Richtung entwickelt sich auch sein Stil zu immer größerer Breite und Kraft: das zier-
liche und graziöse Element, das noch in der „Schule von Athen" und im „Parnaß"
stark weiterlebte, wird schon in den Wandbildern unter der Jurisprudenz und jeden-
falls im Heliodorzimmer völlig ausgeschaltet.