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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 2.1909

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Monatshefte für Kunstwissenschaft

dem Wesen der hochgotischen Kunst. Nur ein eindringliches Verständnis für deren
Gebundenheit und Prinzipe der Formengebung konnte diese Lösung finden.
In engbemessener Raumschicht stehen auch die langaufgeschossenen dünn-
gliedrigen Gestalten der heiligen Jungfrauen auf den Flügeltafeln, mit schweren Gewand-
stücken in langherabsinkenden Falten behangen. Eine konsequente Stilisierung ab-
strahiert von der natürlichen Erscheinung mit einer Einseitigkeit und einem Zielbewußt-
sein, die einem modernen Praktiker nicht ohne weiteres zugetraut werden dürfen.
An den Außenseiten ist nach dem Grundsatz einer gleichmäßigen Flächenfüllung
die Gruppe der Peiniger in wenig moderierter Symetrie rings um den Erlöser als
Schmerzensmann angeordnet.
Für diese reinformalen Gesichtspunkte bei der Genesis aller Kompositionen und
Gestaltungen besaßen nun die Romantiker nur geringes Verständnis bei ihrer Würdigung
und Wiedergabe älterer Stilarten. Wie vollkommen J. N. Strixner sie in seinen litho-
graphischen Reproduktionen noch außer acht ließ, lehrt der Vergleich mit den Original-
gemälden. Manche Härten der altdeutschen Meister und Abweichungen von der offen-
sichtigen Naturwahrheit verletzten sogar die noch wenig eingewöhnten Augen und
einen Geschmack, der seine Schulung dem Klassizismus dankte.
Die Übermalungen am Clarenaltar und dem für die Kgl. Museen zu Berlin neu-
erworbenen Altarschreine angeblich aus St. Gereon dienen oft ausschließlich der An-
näherung an moderne Forderungen *). Nach besserem Wissen sollen die neuen Zusätze
deuten, vermitteln, abschwächen und ausgleichen. Echte primitive Bestandteile werden
zugedeckt durch „Verschönerungen" im Sinne einer angemaßten Korrektheit oder jener
sentimentalen Gefühlsweise. Die überschlanken Figuren werden ein wenig verbreitert,
Haltung und Bewegungen motiviert und abgerundet. Man gelangte nicht etwa durch
Einleben in fremde Stilgesetze zu extremen Konsequenzen, man wünschte vielmehr
psychische Ausdruckswerte zu gewinnen ohne den Kontakt mit der Realität aufzugeben.
Die Anempfinder stehen hilflos vor jeder umfassenden Aufgabe, wenn der un-
mittelbare Anschluß fehlt und sie selbständig im Charakter eines alten Stiles etwas
Neues hervorbringen sollen. Ein unerquickliches Gemisch erborgter Motive und schwer
zu unterdrückender zeitgemäßer Formanschauungen und Tendenzen ist gewöhnlich das
Ergebnis solcher Versuche. Als Beweisstücke nenne ich (abgesehen von den unglück-
lichen älteren Versuchen einer Wiederherstellung des malerischen Kirchenschmucks in
den Rheinlanden) in Köln die Bildtafeln, Maria mit dem Kinde und Heilige, mit welchen
9 Die früheren jetzt durch Reinigung entfernten Ergänzungen und Zusätze an den Berliner
Tafeln hielten sich jedoch auf der Grundlage einer umfassenden Restauration. Der Goldgrund
wurde erneuert, einzelne Köpfe ersetzt. Wesentliche Bestandteile der ursprünglichen Arbeit
blieben hingegen stets sichtbar, so daß an die Aufdeckung einer im Stil abweichenden primären
Schicht in gesamtem Umfang wie beim Clarenaltar gar nicht zu denken war. Die unberührten
Köpfe zeigen genau die nämliche Rißbildung wie die Fleischpartien „der Madonna mit der
Wicke". Das bedeutende Werk nahm eine bevorzugte Stelle auf der Düsseldorfer Ausstellung 1904
ein (Nr. 12) Photo. Bruckmann. — Die Übermalungen der Darstellung „Maria mit dem Kinde im
Kreis versammelter Heiligen" bei H. Felix (Leipzig) sollten sich ebenfalls dem Urbild angleichen;
Köpfe und Figuren des Marienaltares (Galerie Weber, Hamburg Nr. 4) wurden von Franz Becker
modernisiert.
 
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