450
Monatshefte für Kunstwissensdiaft
Pinselzüge, welche Gefältel und Schatten andeuten, fallen ganz augenscheinlich aus dem
Zusammenhänge. Die unregelmäßig zerrissene Farbenfläche des Mantels, die wie eine
vielgeteilte Kruste aufsitzt, bot zunächst Anlaß zu Zweifeln, die man dann auf das
gesamte Gemälde übertrug, da man die den geleimten Kreidegrund bloßlegenden
Spalten dieser Partien, Schrumpfungen der Farbensubstanz, welche Lücken in eine
zähe Masse rissen, auch in der Wickenblüte wiederfand.
Neben der höchst indifferenten Gewandbehandlung bei der Halbfigur des Mittel-
stückes entsprechen die großzügigen Faltenlagen und herabsinkenden Stoffbauschen
der statuarischen Gestalten an den Innenflügeln durchaus der einheitlichen und klaren
Anordnung der Hochgotik. Der grüne Mantel der hl. Barbara ist zum Teil über-
gangen und in seinem Farbenwert verändert; das Rad der hl. Catharina und die Kronen
beider Märtyrerinnen sind weitere unwesentliche Zusätze.
Trotz subtiler Untersuchung ist es nicht gelungen die Herstellung des Gold-
grundes zu voller Evidenz als modern nachzuweisen. Ebenso fehlt dafür der aus-
reichende Beweis, daß die abweichende Rißbildung ausschließlich durch die Anwendung
bekannter moderner Malverfahren ihre Erklärung findet. Die Übereinstimmung des
Verhaltens der fraglichen altkölnischen Tafelbilder beim Zersetzungsprozeß mit ruinösen
modernen Gemälden, bei denen Asphalt als Bindemittel verwendet war, läßt sich nicht
konstatieren. Solche Schrumpfungen und gewaltsame Trennungen der aufgetragenen
Farben findet man außer bei kölnischen, westfälischen und burgundischen, auch bei
altniederländischen Bildern, ohne daß der Charakter der Farbe in seiner Klarheit durch
chemische Veränderung getrübt wäre ').
Den Ausschlag für die Echtheit der wesentlichen Bestandteile des Werkes gibt
der technische Befund der Fleischpartien. Der Vergleich mit einzelnen Arbeiten jener
Epoche, auf welche eine ähnliche Sorgfalt beim dünnen Auftrag der Farben und dem
Verschmelzen der Töne verwandt wurde, muß überzeugen.
Das nämliche dichte Netz dünner sich verästelnder Haarrisse, welches sich an
den Fleischpartien der „Madonna mit der Wicke" ausgebildet hat, breitet sich auch
über die gesamte emailartige Farbenfläche des miniaturfeinen Paradiesbildchens im
städtischen Museum zu Frankfurt. Abbildung 4.
Die Echtheit der idyllischen Darstellung des umschlossenen Gartens mit den
anmutigen Gruppen zierlicher Heiligenfiguren wird überdies noch durch eine Feder-
zeichnung von demselben Urheber in der Kgl. graphischen Sammlung zu München
(Nr. 19736) beglaubigt. Die am Boden hockende Gestalt einer Heiligen oder Sibylle,
die mit gesenktem Köpfchen in einem Buche blättert, während ihr weites Gewand sich
in rundlichen Faltenzügen um sie ausbreitet, gehört in ähnlichen Zusammenhang.
') Ähnliche Sprungbildung und Reißungen, welche sogar Stellen des geleimten Kreide-
grundes bloßlegen, findet man beispielsweise auf der altkölnischen Tafel Nr. 5 im Germanischen
Museum mit 4 Apostelfiguren, auf dem kleinen Kreuzigungsbilde bei Amtsgerichtsrat Clemens in
Aachen, den Tafeln mit Szenen der Jugendgeschichte Jesu im Erzbischöfl. Museum zu Utrecht
vormals Seydel, Köln) und auf dem Profilbildnis des Jean II roy de France angeblich von Girard
d'Orleans um 1359. Nußbaumholz. Bibliotheque nationale, Paris. Exposition des Primitifs 1904, Nr. 1.
Monatshefte für Kunstwissensdiaft
Pinselzüge, welche Gefältel und Schatten andeuten, fallen ganz augenscheinlich aus dem
Zusammenhänge. Die unregelmäßig zerrissene Farbenfläche des Mantels, die wie eine
vielgeteilte Kruste aufsitzt, bot zunächst Anlaß zu Zweifeln, die man dann auf das
gesamte Gemälde übertrug, da man die den geleimten Kreidegrund bloßlegenden
Spalten dieser Partien, Schrumpfungen der Farbensubstanz, welche Lücken in eine
zähe Masse rissen, auch in der Wickenblüte wiederfand.
Neben der höchst indifferenten Gewandbehandlung bei der Halbfigur des Mittel-
stückes entsprechen die großzügigen Faltenlagen und herabsinkenden Stoffbauschen
der statuarischen Gestalten an den Innenflügeln durchaus der einheitlichen und klaren
Anordnung der Hochgotik. Der grüne Mantel der hl. Barbara ist zum Teil über-
gangen und in seinem Farbenwert verändert; das Rad der hl. Catharina und die Kronen
beider Märtyrerinnen sind weitere unwesentliche Zusätze.
Trotz subtiler Untersuchung ist es nicht gelungen die Herstellung des Gold-
grundes zu voller Evidenz als modern nachzuweisen. Ebenso fehlt dafür der aus-
reichende Beweis, daß die abweichende Rißbildung ausschließlich durch die Anwendung
bekannter moderner Malverfahren ihre Erklärung findet. Die Übereinstimmung des
Verhaltens der fraglichen altkölnischen Tafelbilder beim Zersetzungsprozeß mit ruinösen
modernen Gemälden, bei denen Asphalt als Bindemittel verwendet war, läßt sich nicht
konstatieren. Solche Schrumpfungen und gewaltsame Trennungen der aufgetragenen
Farben findet man außer bei kölnischen, westfälischen und burgundischen, auch bei
altniederländischen Bildern, ohne daß der Charakter der Farbe in seiner Klarheit durch
chemische Veränderung getrübt wäre ').
Den Ausschlag für die Echtheit der wesentlichen Bestandteile des Werkes gibt
der technische Befund der Fleischpartien. Der Vergleich mit einzelnen Arbeiten jener
Epoche, auf welche eine ähnliche Sorgfalt beim dünnen Auftrag der Farben und dem
Verschmelzen der Töne verwandt wurde, muß überzeugen.
Das nämliche dichte Netz dünner sich verästelnder Haarrisse, welches sich an
den Fleischpartien der „Madonna mit der Wicke" ausgebildet hat, breitet sich auch
über die gesamte emailartige Farbenfläche des miniaturfeinen Paradiesbildchens im
städtischen Museum zu Frankfurt. Abbildung 4.
Die Echtheit der idyllischen Darstellung des umschlossenen Gartens mit den
anmutigen Gruppen zierlicher Heiligenfiguren wird überdies noch durch eine Feder-
zeichnung von demselben Urheber in der Kgl. graphischen Sammlung zu München
(Nr. 19736) beglaubigt. Die am Boden hockende Gestalt einer Heiligen oder Sibylle,
die mit gesenktem Köpfchen in einem Buche blättert, während ihr weites Gewand sich
in rundlichen Faltenzügen um sie ausbreitet, gehört in ähnlichen Zusammenhang.
') Ähnliche Sprungbildung und Reißungen, welche sogar Stellen des geleimten Kreide-
grundes bloßlegen, findet man beispielsweise auf der altkölnischen Tafel Nr. 5 im Germanischen
Museum mit 4 Apostelfiguren, auf dem kleinen Kreuzigungsbilde bei Amtsgerichtsrat Clemens in
Aachen, den Tafeln mit Szenen der Jugendgeschichte Jesu im Erzbischöfl. Museum zu Utrecht
vormals Seydel, Köln) und auf dem Profilbildnis des Jean II roy de France angeblich von Girard
d'Orleans um 1359. Nußbaumholz. Bibliotheque nationale, Paris. Exposition des Primitifs 1904, Nr. 1.