W. Suida. Studien zur lombardischen Malerei des XV. Jahrhunderts 495
uns zu bloßen Namen geworden. Um so wichtiger sind die wenigen Kapellenräume,
die in ihrer Gesamtdekoration, wenn auch zumeist in wenig gutem Zustande erhalten
blieben. Die Capella Portinari bei S. Eustorgio und die Capella Griffi in S. Pietro in
Gessate zu Mailand sind die künstlerisch hervorragendsten unter ihnen. In beiden An-
lagen finden wir das Bestreben, den Raum durch perspektivisch vorzügliche Schein-
architektur zu erweitern. In der Capella Portinari sind es gerade die vier von Foppa
gemalten Medaillons, die röhrenförmige Öffnungen in die Kuppelträger schneiden. In
der Capella Griffi ist es ein gemaltes Balkengerüst, das den Kuppelraum scheinbar
durchbricht, und auf dem dann die Engelgestalten stehen.
Wieder ist es Bramantino, der in seinen Fresken den Schritt ins Cinquecento
tut, Luini und andere folgen ihm. Der große Genuese Luca Cambiaso nimmt das
architektonisch konstruktive Raumerweiterungsprinzip auf, und legt damit die Basis für
die genuesische Kunst des XVII. Jahrhunderts. Daß aber dieses Hauptelement der Barock-
kunst schon in der lombardischen Quattrocentomalerei vorbereitet wird, dürfte das In-
teresse der Forscher an letzterem so lange vernachlässigten Gebiete erhöhen.
Nachtrag.
Die Freundlichkeit des Herrn Julius Böhler in München ermöglicht es mir, eine
Reproduktion des oben erwähnten (Seite 473) in seinem Besitze befindlichen früh-
lombardischen Bildes beizufügen. Die Inschrift, wenn auch vielleicht später hinzu-
gefügt oder erneut, gibt über den Besteller des Bildes sowie die Veranlassung und
Zeit seiner Entstehung in folgenden Worten Auskunft: Spectabilis ar strenuus vir
Matthaeus de Attendolis Bologninus Ticinensis Arcis praefectus creatus Sancti Angeli
Comes a Francisco Sfortia Mediolani duce anno MCCCCLII commendantibus Sanctis
Johanne Evangeliste et Antonio abbate ab Deipara clientelam recipitur. Das Bildchen
ist vorzüglich erhalten und von freudigster Farbenpracht. Blau, karminrot, taubengrau
und zinnober, gelb und weinrot klingen mit dem Goldgründe hell zusammen.
Das ganze Bildchen mit dem zarten Pflanzenteppich des Vordergrundes, dem merk-
würdigen Rundthron, den in Gewandzipfel endenden Engelchen, den symetrisch bewegten
Greisen, dem gebunden steifen Porträt ist eine späte liebliche Blüte einer Kunstsprache,
welche vorwärtsdrängende Geister eben damals schon als veraltet anzusehen sich be-
rechtigt fühlen mochten. Die Vermutung einer näheren Beziehung zu den Pariser
Miniaturen gründet sich auf mein Gedächtnis. Doch muß ich erwähnen, daß es eine
gute Reihe von Jahren her ist, daß ich die Codices studierte.
REDAKTIONEN DER MONATSHEFTE FÜR KUNSTWISSENSCHAFT
Herausgeber: Dr. GEORG BIERMANN, Leipzig, Liebigstraße 2.
Verantwortlich für die Redaktion: Dr. HERMANN UHDE-BERNAYS.
Zweigredaktionen:
Für Berlin: Dr. HERM. VOSS, Berlin, W. 15, Uhlandstraße 44.
Für München: Dr. HERMANN UHDE-BERNAYS, München, Holbeinstr. 1.
Für Wien: Dr. WILHELM SUIDA, Mödling bei Wien, Kaiser Jubiläumsstr. 16.
Für London: FRANK E. WASHBURN-FREUND, The Cottage / Harrow on Hill
bei London, Lyon Road.
Für Paris: OTTO GRAUTOFF, Paris 11 Quai Bourbon.
Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN, Leipzig, Liebigstr. 2.
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uns zu bloßen Namen geworden. Um so wichtiger sind die wenigen Kapellenräume,
die in ihrer Gesamtdekoration, wenn auch zumeist in wenig gutem Zustande erhalten
blieben. Die Capella Portinari bei S. Eustorgio und die Capella Griffi in S. Pietro in
Gessate zu Mailand sind die künstlerisch hervorragendsten unter ihnen. In beiden An-
lagen finden wir das Bestreben, den Raum durch perspektivisch vorzügliche Schein-
architektur zu erweitern. In der Capella Portinari sind es gerade die vier von Foppa
gemalten Medaillons, die röhrenförmige Öffnungen in die Kuppelträger schneiden. In
der Capella Griffi ist es ein gemaltes Balkengerüst, das den Kuppelraum scheinbar
durchbricht, und auf dem dann die Engelgestalten stehen.
Wieder ist es Bramantino, der in seinen Fresken den Schritt ins Cinquecento
tut, Luini und andere folgen ihm. Der große Genuese Luca Cambiaso nimmt das
architektonisch konstruktive Raumerweiterungsprinzip auf, und legt damit die Basis für
die genuesische Kunst des XVII. Jahrhunderts. Daß aber dieses Hauptelement der Barock-
kunst schon in der lombardischen Quattrocentomalerei vorbereitet wird, dürfte das In-
teresse der Forscher an letzterem so lange vernachlässigten Gebiete erhöhen.
Nachtrag.
Die Freundlichkeit des Herrn Julius Böhler in München ermöglicht es mir, eine
Reproduktion des oben erwähnten (Seite 473) in seinem Besitze befindlichen früh-
lombardischen Bildes beizufügen. Die Inschrift, wenn auch vielleicht später hinzu-
gefügt oder erneut, gibt über den Besteller des Bildes sowie die Veranlassung und
Zeit seiner Entstehung in folgenden Worten Auskunft: Spectabilis ar strenuus vir
Matthaeus de Attendolis Bologninus Ticinensis Arcis praefectus creatus Sancti Angeli
Comes a Francisco Sfortia Mediolani duce anno MCCCCLII commendantibus Sanctis
Johanne Evangeliste et Antonio abbate ab Deipara clientelam recipitur. Das Bildchen
ist vorzüglich erhalten und von freudigster Farbenpracht. Blau, karminrot, taubengrau
und zinnober, gelb und weinrot klingen mit dem Goldgründe hell zusammen.
Das ganze Bildchen mit dem zarten Pflanzenteppich des Vordergrundes, dem merk-
würdigen Rundthron, den in Gewandzipfel endenden Engelchen, den symetrisch bewegten
Greisen, dem gebunden steifen Porträt ist eine späte liebliche Blüte einer Kunstsprache,
welche vorwärtsdrängende Geister eben damals schon als veraltet anzusehen sich be-
rechtigt fühlen mochten. Die Vermutung einer näheren Beziehung zu den Pariser
Miniaturen gründet sich auf mein Gedächtnis. Doch muß ich erwähnen, daß es eine
gute Reihe von Jahren her ist, daß ich die Codices studierte.
REDAKTIONEN DER MONATSHEFTE FÜR KUNSTWISSENSCHAFT
Herausgeber: Dr. GEORG BIERMANN, Leipzig, Liebigstraße 2.
Verantwortlich für die Redaktion: Dr. HERMANN UHDE-BERNAYS.
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Für Berlin: Dr. HERM. VOSS, Berlin, W. 15, Uhlandstraße 44.
Für München: Dr. HERMANN UHDE-BERNAYS, München, Holbeinstr. 1.
Für Wien: Dr. WILHELM SUIDA, Mödling bei Wien, Kaiser Jubiläumsstr. 16.
Für London: FRANK E. WASHBURN-FREUND, The Cottage / Harrow on Hill
bei London, Lyon Road.
Für Paris: OTTO GRAUTOFF, Paris 11 Quai Bourbon.
Verlag von KLINKHARDT & BIERMANN, Leipzig, Liebigstr. 2.
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