E. Waldmann. Die Handzeichnungs-Sammlung Smidt in der Kunsthalle in Bremen 539
dem der Anblick der Abbildung Bedenken
hervorrufen sollte. Vielleicht aber ist es über-
haupt nur vor dem Original selber möglich
sich von der unbedingten Zugehörigkeit der
Tafel zum CEuvre des Meisters zu über-
zeugen; die außerordentliche Leuchtkraft und
Schönheit der Farben sprechen beredter als
alles andere zugunsten der Zuschreibung. Vor
der Reproduktion erinnere ich an Gewandmotive
wie die Fältelung des Tuches über den beiden
Armen des hl. Petrus, die charakteristischen
Linien des Kopftuches der Maria, vor allem aber
an den so absolut typischen Hausbuchmeister-
schädel des Petrus, an den Ausdruck des
Apostelkopfes rechts von ihm (am Rande) und
an die gefalteten, überaus sensitiven Hände der
Maria. Diese selber, übrigens eine Gestalt von
ergreifender, herber Empfindung, könnte Be-
denken erregen. Und dennoch kommt der Typ
ganz ähnlich in den graphischen Arbeiten des
Künstler vor, so auf dem Blatte „Arma Christi".
Besonders auf die gerade Linie der (falsch ver-
kürzten) Nase, auf den kleinen, knollenartigen
Mund, die gerundeten Augendeckel würde ich
für die Zuschreibung Gewicht legen. Und auch
die eigentümlich verschobene Haltung der Figur
scheint mir bezeichnend für die Empfindung
unseres Meisters.
Auf Einzelheiten die zugunsten seines Stiles
sprechen, wie den Leuchter, die Fliesenmusterung
des Fußbodens, die kleine Gruppe in der Mitte
oben (wie Maria gen Himmel getragen wird) u. a.
sei nur flüchtig hingewiesen. Solche kleinen
Züge können eine Zuweisung allenfalls probabler
machen, aber beweisen kann man mit ihnen aller-
höchstens, daß man sich in der Nähe des mittel-
rheinischen Meisters befindet, nicht aber, daß
das Bild wirklich von seiner Hand herrührt.
Zwingender ist es schon, daß die Technik die
charakteristische Strichelmanier seiner übrigen
sicheren Bilder aufweist. Gerade hier handelt
es sich um Eigentümlichkeiten, die von der Schule
nicht allgemein aufgenommen worden sind.
Wie gleich zu Anfang betont worden ist:
die Tafel unterscheidet sich von anderen des
Künstlers durch eine gewisse Primitivität. Das
läßt auf ein relativ frühes Datum schließen.
Eine ungefähre Entstehungszeit anzugeben
möchte ich nicht wagen — dazu liegt die Chrono-
logie dieser noch immer kleinen Bildergruppe
allzusehr im Argen. Jedenfalls gehört der „Tod
Mariae" unbedingt vor die bisher bekannten
Bilder, d. h. vor die Sigmaringer „Auferstehung"
und die „Kreuztragung" in Venedig, von den
übrigen gar nicht zu reden. Mit anderen Worten:
es würde sich um ein Frühbild unseres Meisters
handeln, das uns die Entwicklung seines Stiles
aus dem ungefähren Umkreis der Schongauer-
Schule anschaulich macht.
Ob sich diese Ansicht, die einstweilen nur
vermutungsweise geäußert werden kann, be-
stätigen wird, hängt von dem weiteren Verlauf
der Forschungen über den mittelrheinischen
Künstler ab, der augenblicklich wie wenig andere
„primitive" Deutsche im Vordergründe des
wissenschaftlichen Interesses steht.
Hermann Voss.
^
DIE HANDZEICHNUNGS-SAMMLUNG
SMIDT IN DER KUNSTHALLE
IN BREMEN.
Das Kupferstichkabinett der Bremer Kunst-
halle hat in diesem Jahre einen beträchtlichen
Zuwachs zu seiner Sammlung von Handzeich-
nungen alter Meister erhalten. Die Sammlung
Dr. H. Smidt (früher Konstanz, jetzt Bremen) ist
dem Kabinett von ihrem Besitzer geschenkt
worden. Es sind im ganzen 59 Blatt, viele dar-
unter von kunstgeschichtlicher Bedeutung und
guter Provenienz. Da es bei einem Übergang
von Kunstwerken aus Privatbesitz in ein öffent-
liches Museum oft zu geschehen pflegt, daß die
interessierten Forscher undLiebhaber nicht Kennt-
nis davon erlangen, und da auf diese Weise
dann ein in jahrelanger Wanderung durch Kunst-
handel und Privatsammlung bekannt gewesenes
Blatt plötzlich als vermißt angesehen wird,sei hier
mit einigen Worten eine kleine Anzahl der uns
am wesentlichsten dünkenden Stücke bekannt
gemacht. Doch vorher einige Bemerkungen über
Art und Entstehung der Sammlung.
Der Besitzer, Herr Dr. Hermann Smidt, ist
Mediziner. Er war 25 Jahre dirigierender Arzt
der Nervenheilanstalt Bellevue-Konstanz und
hat in seinen Mußestunden sich mit alter und
moderner Kunst beschäftigt und ein besonderes
Interesse dem Gebiet der Handzeichnungen zu-
gewandt. In den letzten Jahren widmete er sich
fast ausschließlich dem Studium der japanischen
Farbenholzschnitte und brachte auch hier eine
bedeutende und für die Geschichte dieses neuer-
dings übrigens einmal wieder unterschätzten
Kunstzweiges sehrwichtigeSammlungzusammen.
Die Handzeichnungen alter Meister wurden von
ihm sämtlich im Laufe der letzten 20 Jahre er-
worben, auf Auktionen, bei Händlern oder aus
Privatbesitz, und zwar mit nicht gerade erheb-
lichen Mitteln. Man kann ja heute, wenigstens
in Deutschland, immer noch die Zeichnungen
auch berühmter Meister um sehr billiges Geld
dem der Anblick der Abbildung Bedenken
hervorrufen sollte. Vielleicht aber ist es über-
haupt nur vor dem Original selber möglich
sich von der unbedingten Zugehörigkeit der
Tafel zum CEuvre des Meisters zu über-
zeugen; die außerordentliche Leuchtkraft und
Schönheit der Farben sprechen beredter als
alles andere zugunsten der Zuschreibung. Vor
der Reproduktion erinnere ich an Gewandmotive
wie die Fältelung des Tuches über den beiden
Armen des hl. Petrus, die charakteristischen
Linien des Kopftuches der Maria, vor allem aber
an den so absolut typischen Hausbuchmeister-
schädel des Petrus, an den Ausdruck des
Apostelkopfes rechts von ihm (am Rande) und
an die gefalteten, überaus sensitiven Hände der
Maria. Diese selber, übrigens eine Gestalt von
ergreifender, herber Empfindung, könnte Be-
denken erregen. Und dennoch kommt der Typ
ganz ähnlich in den graphischen Arbeiten des
Künstler vor, so auf dem Blatte „Arma Christi".
Besonders auf die gerade Linie der (falsch ver-
kürzten) Nase, auf den kleinen, knollenartigen
Mund, die gerundeten Augendeckel würde ich
für die Zuschreibung Gewicht legen. Und auch
die eigentümlich verschobene Haltung der Figur
scheint mir bezeichnend für die Empfindung
unseres Meisters.
Auf Einzelheiten die zugunsten seines Stiles
sprechen, wie den Leuchter, die Fliesenmusterung
des Fußbodens, die kleine Gruppe in der Mitte
oben (wie Maria gen Himmel getragen wird) u. a.
sei nur flüchtig hingewiesen. Solche kleinen
Züge können eine Zuweisung allenfalls probabler
machen, aber beweisen kann man mit ihnen aller-
höchstens, daß man sich in der Nähe des mittel-
rheinischen Meisters befindet, nicht aber, daß
das Bild wirklich von seiner Hand herrührt.
Zwingender ist es schon, daß die Technik die
charakteristische Strichelmanier seiner übrigen
sicheren Bilder aufweist. Gerade hier handelt
es sich um Eigentümlichkeiten, die von der Schule
nicht allgemein aufgenommen worden sind.
Wie gleich zu Anfang betont worden ist:
die Tafel unterscheidet sich von anderen des
Künstlers durch eine gewisse Primitivität. Das
läßt auf ein relativ frühes Datum schließen.
Eine ungefähre Entstehungszeit anzugeben
möchte ich nicht wagen — dazu liegt die Chrono-
logie dieser noch immer kleinen Bildergruppe
allzusehr im Argen. Jedenfalls gehört der „Tod
Mariae" unbedingt vor die bisher bekannten
Bilder, d. h. vor die Sigmaringer „Auferstehung"
und die „Kreuztragung" in Venedig, von den
übrigen gar nicht zu reden. Mit anderen Worten:
es würde sich um ein Frühbild unseres Meisters
handeln, das uns die Entwicklung seines Stiles
aus dem ungefähren Umkreis der Schongauer-
Schule anschaulich macht.
Ob sich diese Ansicht, die einstweilen nur
vermutungsweise geäußert werden kann, be-
stätigen wird, hängt von dem weiteren Verlauf
der Forschungen über den mittelrheinischen
Künstler ab, der augenblicklich wie wenig andere
„primitive" Deutsche im Vordergründe des
wissenschaftlichen Interesses steht.
Hermann Voss.
^
DIE HANDZEICHNUNGS-SAMMLUNG
SMIDT IN DER KUNSTHALLE
IN BREMEN.
Das Kupferstichkabinett der Bremer Kunst-
halle hat in diesem Jahre einen beträchtlichen
Zuwachs zu seiner Sammlung von Handzeich-
nungen alter Meister erhalten. Die Sammlung
Dr. H. Smidt (früher Konstanz, jetzt Bremen) ist
dem Kabinett von ihrem Besitzer geschenkt
worden. Es sind im ganzen 59 Blatt, viele dar-
unter von kunstgeschichtlicher Bedeutung und
guter Provenienz. Da es bei einem Übergang
von Kunstwerken aus Privatbesitz in ein öffent-
liches Museum oft zu geschehen pflegt, daß die
interessierten Forscher undLiebhaber nicht Kennt-
nis davon erlangen, und da auf diese Weise
dann ein in jahrelanger Wanderung durch Kunst-
handel und Privatsammlung bekannt gewesenes
Blatt plötzlich als vermißt angesehen wird,sei hier
mit einigen Worten eine kleine Anzahl der uns
am wesentlichsten dünkenden Stücke bekannt
gemacht. Doch vorher einige Bemerkungen über
Art und Entstehung der Sammlung.
Der Besitzer, Herr Dr. Hermann Smidt, ist
Mediziner. Er war 25 Jahre dirigierender Arzt
der Nervenheilanstalt Bellevue-Konstanz und
hat in seinen Mußestunden sich mit alter und
moderner Kunst beschäftigt und ein besonderes
Interesse dem Gebiet der Handzeichnungen zu-
gewandt. In den letzten Jahren widmete er sich
fast ausschließlich dem Studium der japanischen
Farbenholzschnitte und brachte auch hier eine
bedeutende und für die Geschichte dieses neuer-
dings übrigens einmal wieder unterschätzten
Kunstzweiges sehrwichtigeSammlungzusammen.
Die Handzeichnungen alter Meister wurden von
ihm sämtlich im Laufe der letzten 20 Jahre er-
worben, auf Auktionen, bei Händlern oder aus
Privatbesitz, und zwar mit nicht gerade erheb-
lichen Mitteln. Man kann ja heute, wenigstens
in Deutschland, immer noch die Zeichnungen
auch berühmter Meister um sehr billiges Geld