Dürers Aufenthalt in Straßburg
Man mag sich zu der Hypothese von Dürers
Arbeiten und Verweilen in Basel in den Jahren
1492—1494, wie sie Daniel Burckhardt an ver-
schiedenen Orten1) darzulegen versucht hat,
stellen wie man will, in einem wird man ihm,
glaube ich, nur schwer beipflichten können, näm-
lich darin, daß er den Dürerschen Aufenthalt in
Straßburg 1494 schlechtweg für nicht geschehen
erklärt 2), obwohl derselbe, wie man bisher all-
gemein annahm, sehr gut begründet erschien.
Trotzdem ist bis jetzt von niemanden, soweit
ich die Literatur übersehe, darin eine andere An-
sicht geäußert worden, so daß ich es für nötig er-
achte, meine Meinung über diesen für die künst-
lerische Entwicklung des jungen Dürers nicht
unwichtigen Punkt in kurzen Worten darzulegen.
Über Dürers erste Reise wissen wir aus seiner
von ihm selbst angelegten Familienchronik so
gut wie gar nichts; es heißt nur, daß er 1490
nach Ostern hinweg von Nürnberg zieht und
1494 nach Pfingsten wieder heimkommt, um sich
am 7. Juli desselben Jahres mit Agnes Frey zu
verheiraten. Aus Christoph Scheurls Lobrede
auf Anton Kreß (1515), der voller Glaube bei-
gemessen werden muß, zumal sie zu Lebzeiten
und unter den Augen Dürers gedruckt ist, und
wir auch ihre Angaben völlig bestätigt finden,
ergeht ferner, daß Dürer 1492 nach Durchwande-
rung Deutschlands in Kolmar bei den Brüdern
Martin Schongauers ankehrt und von diesen
freundlich empfangen wird3). Wo er sich in
den Jahren 1490—1492 herumgetrieben hat, ist
uns nicht bekannt; Daniel Burckhardt schlägt für
diese Zeit einen Aufenthalt im Osten 4) vor.
Mir dünkt es wahrscheinlicher, daß Dürer, was
ja wohl auch mit dem Ausdrucke Scheurls „per-
agrata Germania" gemeint ist, sich in den großen
Kunstzentren wie Augsburg, Köln 5), Ulm 6) usw.
9 Daniel Burckhardt: Albrecht Dürers Aufenthalt in
Basel 1492—1494 (1892); ferner: Dürer und der Meister d.
Bergmannsdien Offizin. Jahrb. d. preuß. Kunstsamml. 28
(1907) p. 168 ff. Ihm tritt entgegen Werner Weisbach: Die
Basler Buchillustration d. XV. Jahrh. (1896); ders.: Der
junge Dürer (1906).
-) Daniel Burckhardt: Martin Schongauer und seine
Brüder in ihren Beziehungen zu Basel. Jahrb. d. preuß.
Kunstsamml. 14 (1893) p. 162.
3) A. Caspare et Paulo aurifabris et Ludovico pictore,
item etiam Basileae a Georgio aurifabro, Martini fratribus
susceptus est benigne atque humane tractatus.
4) Dürers Aufenthalt in Basel p. 10 ff.
5) In Köln hatte Dürer sogar einen Vetter, Niklas
Unger, der bei Dürers Vater das Goldschmiedehandwerk
erlernt hatte. Vgl. Lange u. Fuhse p. 3 u. 109. Auch
Thode (Jahrb. 10 [1889] p. 10) denkt an Köln.
6) In Ulm besaß Dürer einen guten Freund, den Maler
umgesehen hat 4). — Scheint es schon nach reiner
Überlegung kaum zweifelhaft, daß Dürer dar-
nach wohl etwas länger in der weitberühmten
Schongauersdien Werkstatt zu Kolmar, die nach
dem Tode Martins (1491) von dessen Bruder
Ludwig in den alten Traditionen fortgeführt
wird, verweilt, so wird uns diese Überlegung
zur Gewißheit, wenn wir uns die verschiedenen
Handzeichnungen, die in jener Zeit entstanden
sein mögen, näher betrachten; in ihnen drückt
sich nämlich so hervorstechend der Einfluß Schon-
gauerschen Geistes auf Dürers Schaffen aus, daß
man nicht umhin kann, diesen auf einen zeitlich
ausgedehnteren und nicht nur ganz flüchtigen
und kurzen Besuch Dürers in dieser Werkstatt
zurückzuführen 2). Doch auch nicht allzulange
darf man sich Dürers Verweilen in Kolmar vor-
stellen; er wird sich ein paar Monate dort auf-
gehalten haben, um dann noch 1492 für längere
Zeit nach Basel überzusiedeln, wo er von einem
Bruder Martin Schongauers namens Georg, der,
wie wir jetzt durch die Forschungen Daniel
Burckhardts wissen, ein ziemlich bedeutender
Goldschmied gewesen zu sein scheint, aufge-
nommen wird. Noch für das Jahr 1492 haben
wir ein sicheres Dokument für Dürers Anwesen-
heit in Basel; es ist der bekannte Holzschnitt
„Heiliger Hieronymus", der 1492 bei Kessler er-
scheint. Für ausgeschlossen halte ich es auch
nicht, daß Dürer in kleinerem Umfange an den
weiter ihm von Burckhardt zugeschriebenen Holz-
schnitten mitgearbeitet hat. Denn sie zeigen
sehr viel Dürer Verwandtes, und es haben auch
die Zeichnungen3) dieser Epoche manches mit
Konrad Merkel, mit dem er 1510 noch in Briefwechsel stand.
Ob diese Freundschaft wohl schon aus dieser seiner ersten
Wanderschaft herrührte? Vgl. Lange u. Fuhse p. 80.
9 Die Behauptung Sandrarts (Teutsche Akademie
tom. II, p. 222), daß Dürer „sich vier Jahr in Niederland
aufgehalten", bedarf wohl keiner Widerlegung.
2) In diese Zeit gehören etwa: Madonna unter einem
Baldachin thronend (L. 300), Louvre Paris; Selbstbildnis
und heilige Familie (L. 429/430), Universitätsbibliothek-
Erlangen, von W. v. Seidlitz zuerst zirka 1487 angesetzt
(vgl. Jahrb. d. preuß. Kunsts. 15 [1894] p. 23); Dame im
Schleppkleide (L. 346), Sammlung Bonnat-Paris, von Lipp-
mann zirka 1494 angesetzt; ferner der frühe Kupferstich:
Madonna mit der Heuschrecke (B. 44).
3) Herr und Dame zu Pferd (L. 3), Kupferstichkabinett-
Berlin, von anderer Hand falsch „1496" datiert; Belisar
oder nach neuester Bezeichnung „Paulus auf dem Wege
nach Damaskus" im Kupferstidikabinett-Berlin, von Lipp-
mann um 1494 angesetzt (vgl. Jahrb. d. preuß. Kunsts. 18
[1897] p. 181 ff.). Franz Bode hält die Zeichnung für einen
Grünewald (vgl. die Werke des Matthias Grünewald [1904]
p. 64); Ein Reiter (L. 209) im British Museum-London;
Schreitendes Liebespaar (Kunsthalle-Hamburg); Vgl. S.
Man mag sich zu der Hypothese von Dürers
Arbeiten und Verweilen in Basel in den Jahren
1492—1494, wie sie Daniel Burckhardt an ver-
schiedenen Orten1) darzulegen versucht hat,
stellen wie man will, in einem wird man ihm,
glaube ich, nur schwer beipflichten können, näm-
lich darin, daß er den Dürerschen Aufenthalt in
Straßburg 1494 schlechtweg für nicht geschehen
erklärt 2), obwohl derselbe, wie man bisher all-
gemein annahm, sehr gut begründet erschien.
Trotzdem ist bis jetzt von niemanden, soweit
ich die Literatur übersehe, darin eine andere An-
sicht geäußert worden, so daß ich es für nötig er-
achte, meine Meinung über diesen für die künst-
lerische Entwicklung des jungen Dürers nicht
unwichtigen Punkt in kurzen Worten darzulegen.
Über Dürers erste Reise wissen wir aus seiner
von ihm selbst angelegten Familienchronik so
gut wie gar nichts; es heißt nur, daß er 1490
nach Ostern hinweg von Nürnberg zieht und
1494 nach Pfingsten wieder heimkommt, um sich
am 7. Juli desselben Jahres mit Agnes Frey zu
verheiraten. Aus Christoph Scheurls Lobrede
auf Anton Kreß (1515), der voller Glaube bei-
gemessen werden muß, zumal sie zu Lebzeiten
und unter den Augen Dürers gedruckt ist, und
wir auch ihre Angaben völlig bestätigt finden,
ergeht ferner, daß Dürer 1492 nach Durchwande-
rung Deutschlands in Kolmar bei den Brüdern
Martin Schongauers ankehrt und von diesen
freundlich empfangen wird3). Wo er sich in
den Jahren 1490—1492 herumgetrieben hat, ist
uns nicht bekannt; Daniel Burckhardt schlägt für
diese Zeit einen Aufenthalt im Osten 4) vor.
Mir dünkt es wahrscheinlicher, daß Dürer, was
ja wohl auch mit dem Ausdrucke Scheurls „per-
agrata Germania" gemeint ist, sich in den großen
Kunstzentren wie Augsburg, Köln 5), Ulm 6) usw.
9 Daniel Burckhardt: Albrecht Dürers Aufenthalt in
Basel 1492—1494 (1892); ferner: Dürer und der Meister d.
Bergmannsdien Offizin. Jahrb. d. preuß. Kunstsamml. 28
(1907) p. 168 ff. Ihm tritt entgegen Werner Weisbach: Die
Basler Buchillustration d. XV. Jahrh. (1896); ders.: Der
junge Dürer (1906).
-) Daniel Burckhardt: Martin Schongauer und seine
Brüder in ihren Beziehungen zu Basel. Jahrb. d. preuß.
Kunstsamml. 14 (1893) p. 162.
3) A. Caspare et Paulo aurifabris et Ludovico pictore,
item etiam Basileae a Georgio aurifabro, Martini fratribus
susceptus est benigne atque humane tractatus.
4) Dürers Aufenthalt in Basel p. 10 ff.
5) In Köln hatte Dürer sogar einen Vetter, Niklas
Unger, der bei Dürers Vater das Goldschmiedehandwerk
erlernt hatte. Vgl. Lange u. Fuhse p. 3 u. 109. Auch
Thode (Jahrb. 10 [1889] p. 10) denkt an Köln.
6) In Ulm besaß Dürer einen guten Freund, den Maler
umgesehen hat 4). — Scheint es schon nach reiner
Überlegung kaum zweifelhaft, daß Dürer dar-
nach wohl etwas länger in der weitberühmten
Schongauersdien Werkstatt zu Kolmar, die nach
dem Tode Martins (1491) von dessen Bruder
Ludwig in den alten Traditionen fortgeführt
wird, verweilt, so wird uns diese Überlegung
zur Gewißheit, wenn wir uns die verschiedenen
Handzeichnungen, die in jener Zeit entstanden
sein mögen, näher betrachten; in ihnen drückt
sich nämlich so hervorstechend der Einfluß Schon-
gauerschen Geistes auf Dürers Schaffen aus, daß
man nicht umhin kann, diesen auf einen zeitlich
ausgedehnteren und nicht nur ganz flüchtigen
und kurzen Besuch Dürers in dieser Werkstatt
zurückzuführen 2). Doch auch nicht allzulange
darf man sich Dürers Verweilen in Kolmar vor-
stellen; er wird sich ein paar Monate dort auf-
gehalten haben, um dann noch 1492 für längere
Zeit nach Basel überzusiedeln, wo er von einem
Bruder Martin Schongauers namens Georg, der,
wie wir jetzt durch die Forschungen Daniel
Burckhardts wissen, ein ziemlich bedeutender
Goldschmied gewesen zu sein scheint, aufge-
nommen wird. Noch für das Jahr 1492 haben
wir ein sicheres Dokument für Dürers Anwesen-
heit in Basel; es ist der bekannte Holzschnitt
„Heiliger Hieronymus", der 1492 bei Kessler er-
scheint. Für ausgeschlossen halte ich es auch
nicht, daß Dürer in kleinerem Umfange an den
weiter ihm von Burckhardt zugeschriebenen Holz-
schnitten mitgearbeitet hat. Denn sie zeigen
sehr viel Dürer Verwandtes, und es haben auch
die Zeichnungen3) dieser Epoche manches mit
Konrad Merkel, mit dem er 1510 noch in Briefwechsel stand.
Ob diese Freundschaft wohl schon aus dieser seiner ersten
Wanderschaft herrührte? Vgl. Lange u. Fuhse p. 80.
9 Die Behauptung Sandrarts (Teutsche Akademie
tom. II, p. 222), daß Dürer „sich vier Jahr in Niederland
aufgehalten", bedarf wohl keiner Widerlegung.
2) In diese Zeit gehören etwa: Madonna unter einem
Baldachin thronend (L. 300), Louvre Paris; Selbstbildnis
und heilige Familie (L. 429/430), Universitätsbibliothek-
Erlangen, von W. v. Seidlitz zuerst zirka 1487 angesetzt
(vgl. Jahrb. d. preuß. Kunsts. 15 [1894] p. 23); Dame im
Schleppkleide (L. 346), Sammlung Bonnat-Paris, von Lipp-
mann zirka 1494 angesetzt; ferner der frühe Kupferstich:
Madonna mit der Heuschrecke (B. 44).
3) Herr und Dame zu Pferd (L. 3), Kupferstichkabinett-
Berlin, von anderer Hand falsch „1496" datiert; Belisar
oder nach neuester Bezeichnung „Paulus auf dem Wege
nach Damaskus" im Kupferstidikabinett-Berlin, von Lipp-
mann um 1494 angesetzt (vgl. Jahrb. d. preuß. Kunsts. 18
[1897] p. 181 ff.). Franz Bode hält die Zeichnung für einen
Grünewald (vgl. die Werke des Matthias Grünewald [1904]
p. 64); Ein Reiter (L. 209) im British Museum-London;
Schreitendes Liebespaar (Kunsthalle-Hamburg); Vgl. S.