Abb. 1. MITSUNAGA. Aus dem „Leben des Bandainagon": Der Brand
Kokka, Heft 182
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Fujiwara no Mitsunaga und Sesshu, ihre Kunst
und ihre Zeit
Von William Cohn
Die Nebeneinander- und Gegenüberstellung der Maler Fujiwara no Mitsunaga
und Sesshu bietet für das Verständnis der ganzen japanischen Kunst eine Reihe höchst
instruktiver Aufklärungen. Ihre Werke repräsentieren die zwei wichtigsten Stile der
japanischen Malerei — zwei in ihrem Wollen prinzipiell entgegengesetzte Stile. Mit-
sunaga ist ein echter und hochbedeutsamer Meister der Yamato-Tosaschulen, Sesshu
der kraftvollste Vertreter der chinesisch beeinflussten Richtung. Die Künstler sind aus
zwei in ihrer Struktur ganz verschiedenen Kulturstufen herausgewachsen. Hier Fuji-
wara-Kamakuraperiode, dort die Zeit der Ashikagashogune — Japans Gotik und
Renaissance.
Fujiwara no Mitsunaga war ein Kind der Übergangstage von der Fujiwara- zur
Kamakuraperiode. Die Fujiwarazeit setzte ein mit dem Aufkommen der Fujiwarafamilie
unter den Kaisern Uda und Daigo um das Ende des IX. Jahrhunderts. Die Kaiser
waren damals zu vollständiger Ohnmacht verdammt — ohne dass an ihrer Existenz
etwa gerüttelt wurde. (Diesen Ruhm hat ja Japan: immer standen die Nachkommen
einer einzigen Familie als Herrscher an des Landes Spitze. Aber wie nirgends in der
Welt war der angestammte Herrscher dauernd so machtlos.) 250 Jahre lang, bis um
die Mitte des XII. Jahrhunderts, leiteten die Fujiwara die Staatsgeschäfte — und das
Land befand sich gut. Fast völliger Friede. Keine Bürgerkriege verheerten das Insel-
reich, wie späterhin bis zum Aufkommen der Tokugawa um 1600 fast ohne Unter-
brechung. Handel und Industrie konnten blühen. Reiches religiöses Leben entfaltete