II. Jahrg. Heft 8 1909
Ist die Kölner Wicken-Madonna eine Fälschung?
Von Eduard Firmenich-Richartz
Eine gefallene Größe in ihrem Ansehen zu restituieren bleibt ein undankbares
und schwieriges Unternehmen. Anklagen finden gewöhnlich weit eher Glauben wie
Apologien, auch wenn diese keineswegs auf Gefühlswerten beruhen, sondern reinsach-
liche Beweisgründe ins Feld stellen. Gegenüber den letzten sensationellen Enthüllungen
auf dem Gebiete der Kölner Kunstgeschichte, die fast allenthalben begierig aufgenommen
wurden, können vollends historische und stilistische Betrachtungen keine zwingende
Entscheidung herbeiführen. Eine solche ist nur durch den experimentellen Eingriff in den
Bestand jener Werke erreichbar. Diese Darlegungen sollen daher nur zur Klärung der
Frage beitragen, indem sie auf die starke Unwahrscheinlichkeit der neuen Annahmen
hinweisen und ihre inneren Widersprüche aufdecken.
„Der Madonna mit der Wicke" im Wallraf-Richartz -Museum und einigen ver-
wandten Gemälden wird jeder dokumentäre Wert als Schöpfungen alter Meister der
niederrheinischen Schule abgesprochen, da sie nach äußeren Indizien mit modernen Mal-
mitteln hergestellt erscheinen. Sie werden jetzt als Produkte der ersten Jahrzehnte des
neunzehnten Jahrhunderts bezeichnet, die vielleicht aus harmloser Absicht hervorgingen,
sich aber der Typik, Formbildung, Kompositionsart und Farbengebung kölnischer
Werke aus der Zeit der reifen Gotik um 1400 bis zu vollkommener Täuschung an-
schließen. Man wird ohne weiteres zugeben, daß eine solche Wiedererweckung längst
erstorbener Anschauungen und Traditionen zu Kunstwerken voll innerem Leben neben
genialer Intuition auch der genauen umfassenden Denkmalkenntnis bedarf und erst
durch eine feinsinnige langjährige Vertiefung, ein restloses Aufgehen in hochgeschätzte
Vorbilder ermöglicht wird. Derartige selbständige Leistungen in fremdem Geiste stehen
auf einer anderen Stufe als Restaurationsarbeiten oder Kopien, die Vorhandenes ge-
schickt ergänzen oder genau wiederholen.
Zur Erklärung dieses seltsamen Phänomens, daß erst das neunzehnte Jahrhundert
den allerkostbarsten Nachtrag dem Wirken der altkölnischen Zunftmeister hinzugefügt
habe, beruft man sich nun auf die deutsche Romantik, die sich mit Inbrunst in das
Mittelalter hineinträumte, als die entschwundene Jugend der Nation, in der ihre höch-
sten Ideale zwar herb und einseitig doch in voller Frische und Ursprünglichkeit künst-
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