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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 4.1911

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klamieren wollte; ich stelle mir die Sache so vor: an Peter von der Rennen, den
erprobten Goldschmied und geschäftskundigen Kaufmann, gelangten die großen Be-
stellungen der polnischen Geistlichkeit, die ihm ganz ungewohnte Aufgaben —
mehr Aufgaben eines Bildhauers als eines Silberschmieds — zumuteten. Wie man
früher in der Goldschmiedewerkstatt die Vorlagen der Kupferstecher benutzte, so
blickte man im XVII. Jahrhundert sicherlich mit offenem Auge auf die Schöpfungen
der großen Kunst und suchte sich hier Rat, wenn es galt, besonders eindrucksvolle
und über das Durchschnittsmaß der Werkstattarbeit hinausgehende Aufgaben |zu
lösen. Da mag denn auch in Rennens Werkstatt etwas von dem Geist Schlüter-
schen Schaffens eingedrungen sein.
Diese Auffassung erscheint umsomehr gerechtfertigt, wenn man die späteren
Arbeiten Andreas Schlüters auf gleichem Gebiet betrachtet: die vergoldeten Zinn-
särge in der Hohenzollerngruft des berliner Doms, insbesondere die Sarko-
phage des ersten preußischen Königs Friedrichs I. (-| - 1713) und seiner Gemahlin
Sophie Charlotte (-| -1705). Letzterer ist als Arbeit Andreas Schlüters durch den Stich
Bernhard Rodes beglaubigt; aber auch für den Sargkönig Friedrichs I. hat Borrmann
(Baudenkmäler Berlin s. S. 167) Schlüters Urheberschaft, ohne Widerspruch zu
finden, nachgewiesen. Hier nun (Taf. 5) erinnern Einzelheiten, wie die Bildung
der Adler, vor allem aber die Anordnung und der Aufbau des Ganzen lebhaft an
die oben besprochenen Sarkophage der polnischen Nationalheiligen, wenn auch der
Fortschritt zu freierer, geläuterter Formenauffassung unverkennbar ist.
Die Zinnsärge der polnischen Herrscher der Zeit, insbesondere König Wladislaus' IV.
(t 1649) in der Krypta des krakauer Doms, werden von polnischen Forschern,
wie Maryan Sokolowski, als danziger Arbeit angesprochen. Sollte nicht hier,
wie in so manchen polnischen Barockarbeiten der Zeit, z. B. dem wuchtigen
Reliquiar des H. Valentin in der Marienkirche zu Krakau, auch ein Funke schlüter-
schen Genies früh gezündet haben?
Auf solche Fragen kann erst eine tiefer eindringende und schärfer nachprüfende
Forschung antworten; ich glaube jedoch, daß jede Arbeit, die an die bisher mit
Unrecht vernachlässigten, als undankbar und unlohnend angesehenen Aufgaben der
Kunstgeschichte des deutschen Ostens gewendet wird, sicher zu weit bedeut-
sameren Aufschlüssen führen kann und führen wird, als den hier angedeuteten, und
würde mich freuen, wenn diese Zeilen zu solcher Arbeit anregten.

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