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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 4.1911

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Quellen seiner Kunst waren an sich schon ein
fast unübersehbares Gebiet; und wir müssen es
durchaus anerkennen, daß diese Derivation von
oben neben der sorgfältigsten Stilanalyse, die H.
liefert, es schon wert waren, daß daneben die
Ableitungen nach unten hin, die von Magdeburg
ausgehen, zurücktreten und seiner Methode den
Anschein der Einseitigkeit geben.
Zunächst scheint ja eine solche Fülle von plasti-
schen Ornamenten, wie sie in Magdeburg vor-
nehmlich die Ostteile bergen, in geringem Zu-
sammenhang mit der Architektur zu stehen. Es
gab da eben einen Architekten und ein Dutzend
Bildhauer, die des Architekten Bauglieder, jeder
nach seinem Können, zu schmücken hatten. Diese
Seite der Angelegenheit beschäftigt H. zunächst
in ausgiebigem Maße. Er gibt Analysen der
einzelnen Typen und der einzelnen Bildhauer, ihrer
Gehilfen, ihrer Beeinflussungen; ja nicht genug
damit, er findet mit einem merkwürdigen Scharf-
blick auch die überaus komplizierten Stadien der
Bearbeitung (oft durch verschiedene Hände), der
Anpassung, der Zusammenstückung heraus und
bringt sie in sinnreiche Kombinationen. Man muß
sagen, daß hier mitunter etwas zu viel des Guten
geschieht, wenn der Zweck im Auge behalten
wird, den die Autoren des Buches betonen: sich
mit ihm an das große Publikum zu wenden. Ich
nehme keinen Anstand einzugestehen, daß ich
das Meiste mehrere Male habe lesen müssen, und
bezweifle ein wenig, daß die sehr schätzenswerte
Subtilität Hamanns ein Laienpublikum zum Ver-
ständnis der Architektur erziehen kann.
Wissenschaftlich aber ist mit dieser sorgfältigen
Stilkritik ein wahres Musterbeispiel der Unter-
suchung an Ornamenten aufgestellt werden. Ich
resümiere kurz die wichtigsten Typen, Meister und
Gehilfen zusammengenommen:
I. Der Meister der breitlappigen (Kelch-
block-) Kapitelle: ein origineller Menschen-
bildner, von dem der Porträtkopf mit dem Kopf-
tuch (Abb. 15) im Gedächtnis bleibt und die ver-
renkten düsteren Figürchen; in Ornament un-
organisch.
2. Der Meister des Magdalenentym-
panons, der fortgeschrittenste und bedeutendste
Bildhauer; von ihm das Tympanon mit Christus
und Magdalena und die herrlichen Frauenfiguren
an einem Kelchkapitell (Taf. D und E); Schulung
in Chartres; sehr wahrscheinlich identisch mit
einem (dem?) Hauptmeister in Freiberg und
Wechselburg. Sein Ornament, voll Naturgefühl
und Eleganz, gehört zum Schönsten, was der
Übergangsstil hervorgebracht hat. Die Hypothese

H.s, daß er der erste Meister ist, nach einer
Studienreise in Frankreich umgewandelt, ist be-
stechend in ihrer Kühnheit, aber unannehmbar aus
zeitlichen Gründen.
3. Der „französische" Meister, in dem
wir wohl mit P. J. Meier einen „ehrlichen Deut-
schen" sehen können1). Schulung in Reims. An-
mutige und phantasiereiche Erfindung. Von ihm
— und nicht von dem „niederrheinischen Meister",
trotz der rheinischen Parallelen — stammen auch
die sämtlichen Portale im Chorumgang und süd-
lichen Seitenschiff. Das Tympanon Abb. 40 kann
ich nur als seine Arbeit ansehen. Nur er besitzt
die Freiheit, derartig „natürliche" Zweige und
Blätter zu bilden.
4. Mit dem „Niederrheinischen Meister"
ist H. überhaupt nicht mehr ganz auf der Höhe
der 3 vorangegangenen Erscheinungen. Während
jene in glänzender Diktion klar, persönlich erfaßt
uns vorgestellt werden, segeln unter der unbe-
stimmten Flagge des Niederrheinischen gar zu
inkongruente Sachen. Wie soll das Adlerkapitell
(Abb. 37) zu dem flach umliegenden Blattwerk von
Abb. 44 in Beziehung gebracht werden? Ich
möchte überhaupt vorschlagen, den Architekten
vom Bildhauer, die H. in diesem Meister ver-
einigt, strenger zu trennen. Der nicht sehr per-
sönliche Künstler, der als Kennzeichen in Reihen
übereinander stehende akanthusartige Blattorna-
mente hat und vom ersten wie vom zweiten Meister
beeinflußt ist, kann unmöglich der Baumeister der
Chorkapellen und weitgestellten Arkaden sein.
Diesen möchte ich vielmehr nach einem Haupt-
werke den „Naumburger" Architekten nennen.
Was seine Kapitelle betrifft, so sind sie in Magde-
burg an allen seinen charakteristischen Teilen unbe-
deutend gehalten, obwohl von verschiedenen Stein-
metzen gefertigt. Er, nicht der Maulbronner
(Hamann, S. 93) hat allein das Südportal der
Kirche geschaffen; und so kündigt auch in Naum-
burg, Riddagshausen usf. eine gewisse kärgliche
Monotonie der Kapitellformen den wohl zister-
ziensisch-westfälisch geschulten Architekten. Aber
es ist hier nicht der Ort, sein Werk und das des
Maulbronners und ihrer beider Schüler zu scheiden;
in Kürze soll über diese hochinteressante Bau-
gruppe berichtet werden.
5. Der Rankenmeister ist als Persönlichkeit
noch schwerer zu fassen als der Niederrheinische.
Hamann selbst muß dieses zugeben durch Ab-
spaltung verschiedener Gehilfenarbeiten. Es emp-
(1) Besprechung der Aufsätze H.s in den Geschichtsbi. f.
Stadt und Land Magdeburg, 1909, Heft 2.

Monatshefte für Kunstwissenschaft, IV. Jahrg. 1911, Heft 1

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