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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 4.1911

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fiehlt sich vielleicht, hier den Begriff „Meister"
durch den des Typus zu ersetzen. So gefaßt,
begreift das Rankenkapitell auch das von H. be-
sonders gewertete „Westfälische" und „Mittel-
rheinische" in sich. Beide sind ebenso Abarten
des Ranken-, besser Stengelkapitells, wie das ele-
gant gezeichnete und das mit den wundervoll
stilisierten Aspiden (vgl. Abb. 16—35, 83—87,
96 —102). Ihr massenhaftes Auftreten in Sachsen,
Westfalen, Rheinland, ihre starke Variabilität, die
ein festes Abgrenzen von Persönlichkeiten außer-
ordentlich erschwert, ja unfruchtbar erscheinen läßt,
besagt vor allem, daß dieses der Haupttypus der
führenden Bauschulen um 1210 —1240 im Nord-
westen Deutschlands ist. Die mainfränkischen
(Gelnhauser) Formen variieren denselben Typus
mit kräftigem Einschlag von Maulbronn. Es ist
also für die Architektur gerade mit diesem Kapitell
nicht viel anzufangen. H. faßt denn auch in Er-
kenntnis ihrer mangelnden Schlußfähigkeit das
eigentlich architektonische Ergebnis aus dem gleich-
zeitigen Vorkommen von Ranken- (und Nieder-
rheinischen) Kapitellen ziemlich unbestimmt. Als
besonders drastisches „Gegenbeispiel" möchte ich
nebenher erwähnen, daß an den Türmen von
S. Blasii in Mühlhausen (das von Arnstadt abhängt)
zwei Kapitelle von reinem Maulbronner Typ vor-
kommen, während der Bau selbst mit Maulbronn
(resp. den Bischofsgang in Magdeburg) gar nichts
zu schaffen hat. Steinmetzen arbeiteten eben über-
all, wo es etwas zu tun gab, und bei lockerer
Zügelführung des Architekten auch in der Form
ganz selbständig.
6. Einen an sich uninteressanten Typ hat H.
nicht mit aufgeführt; es sind sehr große, dick-
blätterige und dickknospige Formen mit gerilltem
Hals; auch die schilfblattartigen fleischigen Blätter
gehören wohl hierher.
7. Der — durch P. J. Meier — hinlänglich be-
kannte Akanthusmeister aus Speier.
8. Die Maulbronner Typen.
9. Die halbnaturalistischen Knospen-
kapitelle im Hochchor und nördlichen Quer-
schiff. NB. In diese, die V. Bauperiode, und nicht
in die Umgebung des Portalmeisters der I. Periode,
wie H. (S. 93) und P. J. Meier annehmen, gehört
die Figur des „Bonensack", wie aus ihrem Laub-
werk und der vorgeschrittenen plastischen Behand-
lung hervorgeht. Daß dieser „Bonensack", der
seit undenklichen Zeiten in der Domliteratur her-
umspukt, an dem Bischofsgang und somit auch
dem Maulbronner Paradiese völlig unschuldig ist,
möchte ich hier ausdrücklich betonen, weil ich
selber einen guten Teil der Schuld daran trage

(durch mein Buch über Maulbronn), daß dieser
von Hasak in die Welt gesetzte Irrtum sich hart-
näckig behauptet hat. Auch dies Verdienst ge-
bührt Hamann, die falsche Bezeichnung richtig
gestellt zu haben.
10. Die gotischen Kapitelle entbehren des
persönlichen Interesses, das die nachromanischen
auszeichnet. Doch ist hier auch schärfer die ältere
Art der Seitenschiffe (nebst Ernstkapelle, Brunnen-
haus — vor dem Südportal, im Kreuzgang — und
Nord-Kreuzgang) mit ihrem fröhlich wuchernden
Blattwerk von der späteren des Hochschiffs (um
1300 bis ca. 1330) zu trennen; diese sind ab-
strakter und oft kahl. —
Die Schlußfolgerung von den Ornamenten auf
die Architektur und mehr noch deren kritische
Untersuchung selbst hat H. zu wertvollen Resul-
taten geführt, die für die Baugeschichte des Magde-
burger Doms wohl immer maßgebend bleiben
werden. Er hat die vordem — namentlich durch
Hasaks Kritiklosigkeiten — ganz verworrenen An-
teile der I. und II. Bauperiode sauber auseinander-
geschält; hat gezeigt, daß dem ersten Meister mit
den französischen Chorgrundriß und der Freude
an romanischem Formenreichtum nicht mehr die
Gewölbe des Chorumgangs gehören, welche viel-
mehr ebenso wie die 5 Chorkapellen, der aus West-
falen kommende „Niederrheinische" (Naumburger)
Meister zugefügt hat. Als die eigentliche Tat
dieses bedeutenden Mannes aber hat er die jetzige
Gestalt der Langhausarkaden festgestellt; ent-
gegen der Annahme P. J. Meiers (und mit Recht),
daß diese Verbreiterung der Seitenschiffe und das
Aufgeben des Zwischenpfeilers erst nach 1274 ein-
gesetzt habe. Hinzuzufügen ist, daß als nächste
Konsequenz dieser kühnen Tat das System von
Münster i. W. zu gelten hat: es bleibt nichts
anderes übrig, da Magdeburg etwa 1215 und der
erneute Baubeginn von Münster 1225 fällt, als eine
Beeinflussung des westfälischen Domes durch
Magdeburg anzunehmen, wie solche auch durch
andere Gründe gestützt wird; nicht umgekehrt.
Die weiten Arkaden also stammen nicht aus West-
falen, wie H. annimmt, sondern sind von Magde-
burg dorthin übertragen.
Überzeugend sind die Hinweise auf rheinische
Vorbilder für den Meister, in S. Andreas-Köln,
Bacharach, Sinzig; und die Verwandtschaft der
Kapelle der Neuenburg mit ihm (vielleicht ein
Schulwerk).
Die Nebenchöre der Stiftskirche zu Offenbach a.
Glan stammen hingegen aus Maulbronner Schule.
Die Teilung der Arbeit am Bischofsgang und
das eigentümlich Zwiespältige in der Hochchor-

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