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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 4.1911

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Gemälde sollte ebenfalls bald erscheinen. Beides mußte erst hinter mir liegen.
Endlich, als das Frühjahr 1900 da war, war auch die Bahn frei für die Frage,
deren Lösung mir von der größten Tragweite für die deutsche Kunstgeschichte zu
sein schien. Aber wo ich mich auch erkundigte, niemand konnte mir sagen, aus
welcher Ausgabe des Heilsspiegels die 10 Proben bei Muther entnommen waren.
An Muther wollte ich mich nicht wenden, er hätte es womöglich selbst nicht mehr
gewußt. Schließlich kam ich auf den Gedanken, bei der Direktion der Hof- und
Staatsbibliothek in München, aus deren Beständen Muther wahrscheinlich seinen
Tafelband zusammengestellt hatte, anzufragen. Anfang Mai 1900 hatte ich die Ant-
wort und zugleich das Buch: es war die von Peter Drach in Speier gedruckte
Ausgabe (Hain *14935). Noch waren darin die Holzschnitte, die Muther zur Nach-
bildung bestimmt hatte, mit Bleistift angestrichen.
Was mir die 10 Nachbildungen schon zur Genüge gesagt hatten, das bestätigten
nun die sämtlichen Holzschnitte des Originals: sie waren vom Hausbuchmeister
gezeichnet. Und Speier, nicht Frankfurt oder Mainz, wie ich 1896 mit anscheinend
guten Gründen nachzuweisen versucht hatte, war der Ort seiner Tätigkeit. In
dieser Zeit erschien im Jahrbuch der preußischen Kunstsammlungen (Bd. XXI) die
große Abhandlung von Henry Thode über die Malerei am Mittelrhein im XV. Jahr-
hundert. Thode wandelte darin auf der Suche nach dem Hausbuchmeister noch
in den alten Geleisen und fügte nur zu den schon bekannten Hypothesen eine neue
hinzu, indem er die Vermutung aussprach, der Frankfurter Maler Martin Hess sei
der Meister des Hausbuches.
Ich hatte von Anfang an nicht die Absicht, meine Entdeckung sofort der Öffent-
lichkeit vorzulegen. Nicht etwa, weil ich ihr irgendwie mißtraut hätte. Im Gegen-
teil, nie ist mir eine wissenschaftliche Beobachtung so unwiderleglich erschienen,
wie diese, nie in den ganzen zehn Jahren, die seitdem verflossen sind, ist mir auch
nur einmal der Gedanke gekommen, daß ich mich geirrt haben könnte. Aber ich
hatte die Überzeugung, daß die nun gefundene Spur noch weiter führen müsse, daß
die Holzschnitte im Drachschen Heilsspiegel nicht die einzigen sein könnten, die
der Meister gezeichnet habe, und daß man nur an der Hand der Holzschnitte bis
zu der Person des Meisters vordringen und seine Lebensumstände ermitteln könne.
Ich wollte also ruhig abwarten, was alles noch kommen würde. Was ich dann
wirklich gefunden habe, habe ich nicht gesucht, es ist mir fast wie von selbst in
den Schoß gefallen. Aber dann stellten sich zugleich andere, dringlichere Aufgaben
ein, und der Plan einer größeren Veröffentlichung, den ich, sobald alle diese Studien
abgeschlossen waren, ins Auge gefaßt hatte, mußte immer wieder verschoben
werden und kam schließlich nicht mehr zur Ausführung. Daß ich aber das viele
Neue, was ich über den Hausbuchmeister als Zeichner für den Holzschnitt zu sagen
hatte, von Anfang an nicht als Geheimnis gehütet habe, wissen meine Freunde
und Bekannten in Leipzig, meine engeren Fachgenossen in Dresden, Berlin, München,
Darmstadt, Basel, Wien, London, Amsterdam und anderwärts; es wissen auch noch
manche andere Leute. Der erste auswärtige Fachgenosse, dem ich von dem Er-
gebnis meiner Untersuchungen Mitteilung machte, war der als Forscher auf dem
Gebiete des ältesten deutschen Kupferstichs und Holzschnittes hoch verdiente
Dr. Wilhelm Schmidt, damals noch Direktor des Münchener Kupferstichkabinetts.
Er stimmte mir ohne weiteres zu und gab mir sogar am 4. Dezember 1900 brief-
lich aus freien Stücken die Erlaubnis, ihn als Bestätiger meiner Ansicht zu nennen,
falls ich es für wünschenswert halten sollte. Es folgten im Juni 1902 Max Lehrs,
im Oktober oder November 1902 Daniel Burckhardt, von denen Lehrs auf meine

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