Bitte das Prager, Burckhardt das St. Galler Exemplar des Drachschen Heilsspiegels,
die mir nicht zugänglich waren, durchsah. Auch ihre Antwort lautete so, wie ich
erwartet hatte. Mit dieser Erklärung der drei bedeutenden Kenner war jedem
ernsthaften Widerstand, der mir sonst noch hätte erwachsen können, von vorn-
herein die Spitze abgebrochen.
Hier muß ich noch eines Mannes gedenken, der mich in meinen späteren Studien
in ungewöhnlicher Weise unterstützt hat. Ich meine den mir befreundeten Sammler
August Vasel, Gutsbesitzer in Beierstedt bei Jerxheim. Im Sommer 1900 blätterte
ich zufällig einmal in dem großen fast 8 Jahre vorher veröffentlichten Antiquariats-
katalog Nr. 90 (Incunabula xylographica et chalcographica) von Ludwig Rosenthal
in München. Eine Abbildung auf S. 61 lenkte meine Aufmerksamkeit auf sich.
Sie war einer unter Nr. 228 verzeichneten Ausgabe des Spiegels der menschlichen
Behältnis entnommen, die mit keiner der bisher von den Bibliographen beschriebenen
übereinstimmen sollte. Ich konnte leicht feststellen, daß der Holzschnitt von dem-
selben Holzstock abgedruckt sein mußte, wie der entsprechende in der Drachschen
Ausgabe. Herr Vasel war immer stolz, wenn er seine Kupferstichsammlung um
eine neue Seltenheit bereichern konnte. Dazu schien sich hier wieder eine Ge-
legenheit zu bieten. Ich stellte ihm vor, was für ein Glück es wäre, wenn er zu
seinen kostbaren Stichen des Meisters E. S. nun vom Meister des Amsterdamer
Kabinetts über 250 noch ganz unbekannte Holzschnitte gleich auf einmal erwerben
könne. Im Vertrauen auf mein Urteil ging er auf meinen Vorschlag ein und schrieb
an Rosenthal. Und das Glück war ihm wirklich günstig, das Buch hatte noch
keinen Käufer gefunden, er kaufte es sofort und sandte es mir am 1. November 1900
zu. Ich konnte feststellen, daß es eine 2. Auflage des Drachschen Heilsspiegels
sei, die als solche tatsächlich den Bibliographen ganz unbekannt geblieben war,
an Güte des Druckes mit der ersten Auflage allerdings nicht vergleichbar, aber
trotzdem noch ein kostbarer Besitz. Von der liebenswürdigen Erlaubnis Vasels,
das Buch solange zu behalten, wie ich es zu meinen weiteren Studien nötig hätte,
habe ich sehr ausgiebig Gebrauch gemacht. Erst nach Abschluß aller meiner
Untersuchungen, Ende 1902, hat er es zurückerhalten. Dann, als ich im Oktober 1906
mit einem Verleger wegen einer Veröffentlichung des Heilsspiegels in Verbindung
getreten war, hat mir Vasel das Buch nochmals gesandt, und seitdem ist es in
meiner Verwahrung geblieben und nach dem am 3. Juni 1910 erfolgten Tode Vasels
mit dessen kostbarer, rund 7000 Blätter zählender Kupferstichsammlung als Ver-
mächtnis von ihm in den dauernden Besitz des Herzogl. Museums in Braunschweig
übergegangen. In meinem Arbeitszimmer hat es also im Ganzen etwa 6 Jahre
jeden Augenblick zu meiner Verfügung gestanden, dort hat es auch dieser und jener
von den Fachgenossen, die mich besuchten, gesehen, durchblättert oder auch ge-
nauer studiert, der eine mehr oder weniger zweifelnd, der andere vollkommen
überzeugt, je nach dem Grade seiner Kennerschaft auf diesem Gebiete.
Ende 1903 hat Aug. Vasel bei Julius Zwissler in Wolfenbüttel ein ansehnliches
Verzeichnis seiner Sammlung veröffentlicht, das sich als Geschenk des Besitzers
vermutlich in jeder größeren Kupferstichsammlung Deutschlands befindet. In diesem
Verzeichnis ist der Spiegel der menschlichen Behältnis auf S. 361 unter Nr. 6210
aufgeführt und seine Holzschnitte sind unter Hinweis auf meine Angaben hier zum
ersten Male vor aller Welt als Werke des Hausbuchmeisters bezeichnet.
Durch die Erwerbung des seltenen Heilsspiegels hat Aug. Vasel nicht nur mir,
sondern mittelbar auch der ganzen kunstgeschichtlichen Forschung einen großen
Dienst erwiesen, ich glaubte es deshalb dem Verstorbenen schuldig zu sein, da
97
die mir nicht zugänglich waren, durchsah. Auch ihre Antwort lautete so, wie ich
erwartet hatte. Mit dieser Erklärung der drei bedeutenden Kenner war jedem
ernsthaften Widerstand, der mir sonst noch hätte erwachsen können, von vorn-
herein die Spitze abgebrochen.
Hier muß ich noch eines Mannes gedenken, der mich in meinen späteren Studien
in ungewöhnlicher Weise unterstützt hat. Ich meine den mir befreundeten Sammler
August Vasel, Gutsbesitzer in Beierstedt bei Jerxheim. Im Sommer 1900 blätterte
ich zufällig einmal in dem großen fast 8 Jahre vorher veröffentlichten Antiquariats-
katalog Nr. 90 (Incunabula xylographica et chalcographica) von Ludwig Rosenthal
in München. Eine Abbildung auf S. 61 lenkte meine Aufmerksamkeit auf sich.
Sie war einer unter Nr. 228 verzeichneten Ausgabe des Spiegels der menschlichen
Behältnis entnommen, die mit keiner der bisher von den Bibliographen beschriebenen
übereinstimmen sollte. Ich konnte leicht feststellen, daß der Holzschnitt von dem-
selben Holzstock abgedruckt sein mußte, wie der entsprechende in der Drachschen
Ausgabe. Herr Vasel war immer stolz, wenn er seine Kupferstichsammlung um
eine neue Seltenheit bereichern konnte. Dazu schien sich hier wieder eine Ge-
legenheit zu bieten. Ich stellte ihm vor, was für ein Glück es wäre, wenn er zu
seinen kostbaren Stichen des Meisters E. S. nun vom Meister des Amsterdamer
Kabinetts über 250 noch ganz unbekannte Holzschnitte gleich auf einmal erwerben
könne. Im Vertrauen auf mein Urteil ging er auf meinen Vorschlag ein und schrieb
an Rosenthal. Und das Glück war ihm wirklich günstig, das Buch hatte noch
keinen Käufer gefunden, er kaufte es sofort und sandte es mir am 1. November 1900
zu. Ich konnte feststellen, daß es eine 2. Auflage des Drachschen Heilsspiegels
sei, die als solche tatsächlich den Bibliographen ganz unbekannt geblieben war,
an Güte des Druckes mit der ersten Auflage allerdings nicht vergleichbar, aber
trotzdem noch ein kostbarer Besitz. Von der liebenswürdigen Erlaubnis Vasels,
das Buch solange zu behalten, wie ich es zu meinen weiteren Studien nötig hätte,
habe ich sehr ausgiebig Gebrauch gemacht. Erst nach Abschluß aller meiner
Untersuchungen, Ende 1902, hat er es zurückerhalten. Dann, als ich im Oktober 1906
mit einem Verleger wegen einer Veröffentlichung des Heilsspiegels in Verbindung
getreten war, hat mir Vasel das Buch nochmals gesandt, und seitdem ist es in
meiner Verwahrung geblieben und nach dem am 3. Juni 1910 erfolgten Tode Vasels
mit dessen kostbarer, rund 7000 Blätter zählender Kupferstichsammlung als Ver-
mächtnis von ihm in den dauernden Besitz des Herzogl. Museums in Braunschweig
übergegangen. In meinem Arbeitszimmer hat es also im Ganzen etwa 6 Jahre
jeden Augenblick zu meiner Verfügung gestanden, dort hat es auch dieser und jener
von den Fachgenossen, die mich besuchten, gesehen, durchblättert oder auch ge-
nauer studiert, der eine mehr oder weniger zweifelnd, der andere vollkommen
überzeugt, je nach dem Grade seiner Kennerschaft auf diesem Gebiete.
Ende 1903 hat Aug. Vasel bei Julius Zwissler in Wolfenbüttel ein ansehnliches
Verzeichnis seiner Sammlung veröffentlicht, das sich als Geschenk des Besitzers
vermutlich in jeder größeren Kupferstichsammlung Deutschlands befindet. In diesem
Verzeichnis ist der Spiegel der menschlichen Behältnis auf S. 361 unter Nr. 6210
aufgeführt und seine Holzschnitte sind unter Hinweis auf meine Angaben hier zum
ersten Male vor aller Welt als Werke des Hausbuchmeisters bezeichnet.
Durch die Erwerbung des seltenen Heilsspiegels hat Aug. Vasel nicht nur mir,
sondern mittelbar auch der ganzen kunstgeschichtlichen Forschung einen großen
Dienst erwiesen, ich glaubte es deshalb dem Verstorbenen schuldig zu sein, da
97