DIE ITALIENISCHEN ELEMENTE IN DER
ROMANISCHEN KIRCHENARCHITEKTUR
ELSASS-LOTHRINGENS Von ERNST COHN-WIENER
Mit sechs Abbildungen auf zwei Tafeln ....••..••..•.•.•••.•..•••......•••...•...•..
Es ist in der letzten Zeit öfter vom Einfluß des italienischen Mittelalters auf
den Norden die Rede gewesen, und dieser Einfluß erscheint natürlich, wenn
man bedenkt, wie sehr Italien der Mittelpunkt der religiösen Kultur und der Kaiser-
kämpfe des Mittelalters war, und wieviel Tausende von Deutschen seinen Boden
betraten. Es nimmt nicht Wunder, diesem Einfluss in den an Italien angrenzen-
den Gebieten zu begegnen, im südöstlichen Frankreich und in der heutigen
Schweiz; ferner in Tirol die ganz oberitalienischen Portale der Zenoburg und des
Schlosses Tirol bei Meran zu finden und weiter nach Norden in Regensburg das
Portal der Schottenkirche. Desto erstaunter war ich, diesen Einfluß in dem denk-
bar abgeschlossensten Gebiet Lothringens, im heutigen französischen Vogesen-
departement so stark zu sehen, daß er bis zur direkten Kopie geht; da er, wie
ja bekannt, auch im deutschen Elsaß wirksam ist, haben wir es in diesen inter-
essanten Grenzländern, die trotz ihrer Fülle romanischer Monumente kunsthistorisch
noch immer viel zu wenig durchgearbeitet sind, mit einem Kunstgebiet zu tun,
das von italienischen Formgedanken geradezu durchtränkt ist.
Die kleine Kirche des Dorfes Laitre-sous-Amance unweit Nancy (Abb. i) ist
heute in Lothringen das markanteste Beispiel für diesen Einfluß. Während in
ihrem gotisch eingewölbten Innenraum nur noch ein paar Pfeilerkapitelle die alten
energischen Formen aufweisen, ist die Fassade fast vollkommen in romanischen
Formen erhalten. Man hat die gotischen Wölbungen in das alte Gehäuse ge-
wissermaßen eingebaut, und so wirkt der gotische Innenraum stilwidrig eng und
dumpfig, während die Fassade mit ihren klaren, ruhigen Formen einen erstaun-
lich großen Eindruck macht. Sie ist durch ein horizontal laufendes Ornamentband
in zwei Geschosse geschieden. Die Mitte des unteren Geschosses bildet das ab-
getreppte Portal, das uns noch beschäftigen wird. Von den Sockellöwen, auf
denen seine äußersten Säulen ruhen, steigt außerdem auf jeder Seite eine Halb-
säule in die Höhe als innerer Träger für Blendarkaden, von denen je zwei, eine
schmälere nach innen, eine breitere nach außen, auf jeder Seite die Wand gliedern.
Es ist aber wichtig, daß die Blendarkaden nicht vor die Mauer gestellt, sondern
selbst Teile der eigentlichen Mauerfläche sind, so daß die Wand zwischen ihnen
eine zweite, tieferliegende Schicht bildet. Der Sockel, auf dem die ganze Fassade
ruht, schrägt sich am Fuß dieser Arkaden nach innen ab, um eine Verbindung zur
zweiten Schicht herzustellen. Von diesem unteren Teil der Fassade unterscheidet
sich der obere schon rein äußerlich dadurch, daß anstelle des festgefügten Quader-
werkes hier kleine Feldsteine unregelmäßig aufeinander gemauert die Wand bilden,
die nur an den Kanten von Hausteinen energisch eingefaßt ist. Durch solche
Kanten sondern sich auch die beiden mit Pultdächern geschlossenen Nebenschiffe
ab. Auf dem Hauptschiff erhebt sich in der Fassade ein Turm. Vergleicht man
mit diesem Fassadenbau Kirchen, wie etwa St. Andrea zu Pistoja (Abb. 2), so ergibt
sich eine so vollkommene Verwandtschaft der Fassadengliederung, daß die Ab-
hängigkeit von Italien fraglos wird und die Datierung auch der lothringischen
Kirche ins XII. Jahrhundert gerechtfertigt scheint. Es ist in Pistoja dieselbe Teilung
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ROMANISCHEN KIRCHENARCHITEKTUR
ELSASS-LOTHRINGENS Von ERNST COHN-WIENER
Mit sechs Abbildungen auf zwei Tafeln ....••..••..•.•.•••.•..•••......•••...•...•..
Es ist in der letzten Zeit öfter vom Einfluß des italienischen Mittelalters auf
den Norden die Rede gewesen, und dieser Einfluß erscheint natürlich, wenn
man bedenkt, wie sehr Italien der Mittelpunkt der religiösen Kultur und der Kaiser-
kämpfe des Mittelalters war, und wieviel Tausende von Deutschen seinen Boden
betraten. Es nimmt nicht Wunder, diesem Einfluss in den an Italien angrenzen-
den Gebieten zu begegnen, im südöstlichen Frankreich und in der heutigen
Schweiz; ferner in Tirol die ganz oberitalienischen Portale der Zenoburg und des
Schlosses Tirol bei Meran zu finden und weiter nach Norden in Regensburg das
Portal der Schottenkirche. Desto erstaunter war ich, diesen Einfluß in dem denk-
bar abgeschlossensten Gebiet Lothringens, im heutigen französischen Vogesen-
departement so stark zu sehen, daß er bis zur direkten Kopie geht; da er, wie
ja bekannt, auch im deutschen Elsaß wirksam ist, haben wir es in diesen inter-
essanten Grenzländern, die trotz ihrer Fülle romanischer Monumente kunsthistorisch
noch immer viel zu wenig durchgearbeitet sind, mit einem Kunstgebiet zu tun,
das von italienischen Formgedanken geradezu durchtränkt ist.
Die kleine Kirche des Dorfes Laitre-sous-Amance unweit Nancy (Abb. i) ist
heute in Lothringen das markanteste Beispiel für diesen Einfluß. Während in
ihrem gotisch eingewölbten Innenraum nur noch ein paar Pfeilerkapitelle die alten
energischen Formen aufweisen, ist die Fassade fast vollkommen in romanischen
Formen erhalten. Man hat die gotischen Wölbungen in das alte Gehäuse ge-
wissermaßen eingebaut, und so wirkt der gotische Innenraum stilwidrig eng und
dumpfig, während die Fassade mit ihren klaren, ruhigen Formen einen erstaun-
lich großen Eindruck macht. Sie ist durch ein horizontal laufendes Ornamentband
in zwei Geschosse geschieden. Die Mitte des unteren Geschosses bildet das ab-
getreppte Portal, das uns noch beschäftigen wird. Von den Sockellöwen, auf
denen seine äußersten Säulen ruhen, steigt außerdem auf jeder Seite eine Halb-
säule in die Höhe als innerer Träger für Blendarkaden, von denen je zwei, eine
schmälere nach innen, eine breitere nach außen, auf jeder Seite die Wand gliedern.
Es ist aber wichtig, daß die Blendarkaden nicht vor die Mauer gestellt, sondern
selbst Teile der eigentlichen Mauerfläche sind, so daß die Wand zwischen ihnen
eine zweite, tieferliegende Schicht bildet. Der Sockel, auf dem die ganze Fassade
ruht, schrägt sich am Fuß dieser Arkaden nach innen ab, um eine Verbindung zur
zweiten Schicht herzustellen. Von diesem unteren Teil der Fassade unterscheidet
sich der obere schon rein äußerlich dadurch, daß anstelle des festgefügten Quader-
werkes hier kleine Feldsteine unregelmäßig aufeinander gemauert die Wand bilden,
die nur an den Kanten von Hausteinen energisch eingefaßt ist. Durch solche
Kanten sondern sich auch die beiden mit Pultdächern geschlossenen Nebenschiffe
ab. Auf dem Hauptschiff erhebt sich in der Fassade ein Turm. Vergleicht man
mit diesem Fassadenbau Kirchen, wie etwa St. Andrea zu Pistoja (Abb. 2), so ergibt
sich eine so vollkommene Verwandtschaft der Fassadengliederung, daß die Ab-
hängigkeit von Italien fraglos wird und die Datierung auch der lothringischen
Kirche ins XII. Jahrhundert gerechtfertigt scheint. Es ist in Pistoja dieselbe Teilung
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