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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 4.1911

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zweiten Hälfte des XII. Jahrhunderts entstanden, ihrerseits stark von den größeren
abhängig und heute oft sehr umgebaut sind. Wie in der Fassade, so ist auch in
der Innenanlage fast aller dieser Kirchen der italienische Einfluß unbezweifelbar.
Das interessante, gebundene System, das hier herrscht, der Stützenwechsel, die
Gliederung der Hauptpfeiler, die ungemein massigen Zwischensäulen kehren in
Oberitalien oft genug wieder. Indessen darf ich mir versagen, darauf einzugehen,
da diese Frage eben erst von Dehio erörtert worden ist.1)
Die Portale unterliegen naturgemäß den gleichen Anregungen. Eine der charak-
teristischen Formen am italienischen Kirchenportal ist sein oberer Abschluß
durch ein Dreieck, eine Art Wimperg, der sicher den gotischen Wimpergen über
den Portalen von Chartres, Laon und weiterhin das Vorbild gegeben hat, zumal
auch in Italien schon gelegentlich in ihm Nischen mit Statuen sich vorfinden.
Dieser Pseudo-Wimperg nun findet sich im Elsaß an sehr vielen Stellen, in Mur-
bach z. B. und an St. Peter und Paul zu Neuweiler. Gerade im Elsaß gibt es
ferner ein Portal, das den italienischen noch weitaus näher steht, als die in
Lothringen, ja, geradezu als ein italienisches Portal in Deutschland angesehen
werden muß, das der Kirche von Andlau (Abb. 5).
Innerhalb einer Vorhalle, die mit phantastischen Reliefdarstellungen dekoriert ist,
wie sie sich im Mittelalter überall, besonders aber auch wieder in Italien finden,
steht ein Portal von außerordentlich energischen Formen. Das Gewände ist von
je zwei karyatidengetragenen Pfeilern gebildet, deren äußere unter Arkaden in
ganz flachem Relief Stifterpaare mit leider arg verwischten Namen zeigen, während
die inneren mit Ranken dekoriert sind, die von menschlichen Figürchen ausgehen.
Ein sehr energisches Kämpfersims trennt das Gewände von der Archivolte, in
welcher zwischen einem Schleuderer und einem Bogenschützen pflanzliche Orna-
mente, mit symbolischen Gestalten durchsetzt, das Bogenfeld rahmen. Im Tympa-
non selbst thront Christus, der dem Petrus die Schlüssel, dem Paulus ein Buch über-
gibt. Darunter ein Türsturz mit der Geschichte des Sündenfalles, dessen einzelne
Szenen ohne jede Trennung nebeneinander gereiht sind.
Die Meinungen über dieses auf seinem Boden ganz fremdartige Portal gingen
naturgemäß sehr auseinander. Woltmann 2) hält seine „Pfostenkonstruktion" für
äußerst primitiv, und das Portal selbst infolgedessen für einen noch erhaltenen
Teil der 1049 gebauten Kirche von Andlau. Allein obgleich ein ganz frühmittel-
alterliches Portal an S. Ambrogio in Mailand schon die gleiche einfache Gewände-
bildung zeigt, müßten die Abstufung der Pfosten, die Lunette, die Figuren zu
ihrer Seite, und vor allem die Karyatiden stutzig machen. Denn es handelt sich
hier tatsächlich um Karyatiden in Relief, nicht um Figuren mit gen Himmel er-
hobenen Händen, wie Kraus wollte. Das wäre ikonographisch ohne jedes Gegen-
stück. Karyatiden wären aber nicht nur hier, an der Basis des Portals sehr am
Platze, sondern finden sich überdies ebenso wie die Rankenträger des inneren
Pfeilers in Italien von Trau bis Bari unzählige Male. Tatsächlich ist ja auch die
Pfostenkonstruktion dieses Portals im Italien des XII. Jahrhunderts die verbrei-
tetste Portalform und kommt in Mittelitalien besonders an den Bauten vor, deren
plastische Werke sich um den Namen des Benedetto Antelami, also um das Ende
des XII. Jahrhunderts, gruppieren. Die Form des Türsturzes, dessen einzelne
Darstellungen ungetrennt nebeneinander stehen, weist ebenso auf den Kreis dieses

(1) Zeitschrift f. Gesch. d. Architektur Bd. III. S. 50.

(2) Geschichte der deutschen Kunst im Elsaß, Leipzig 1876, S. 18.

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