Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Monatshefte für Kunstwissenschaft — 4.1911

Citation link:
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/monatshefte_kunstwissenschaft1911/0135
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
eine Krönung Mariä, wie sie vor 1200 und ohne den Einfluß französischer Früh-
gotik schlechterdings nicht denkbar ist. Sie ist fraglos vom Meister des Ornament-
werks am Portal und infolgedessen im Figürlichen so ungelenk, daß sie ein sehr
interessantes elsäßisches Gegenstück zu Zimmermanns romanischer Margareten-
legende in Fornovo bei Parma1) bildet.
Es ergibt sich also, daß in der zweiten Hälfte des XII. Jahrhunderts die Gebiete
des linken Rheinufers, das Herzogtum Ober-Lothringen und das Elsaß, eine ge-
meinsame Zone italienischen Einflußes darstellen, obgleich das letztere politisch
zum rechtsrheinischen Schwaben gehört. Es zeigt sich auch hier wieder, daß po-
litische Grenzen kunsthistorisch wenig bedeuten, vielmehr die geographischen
Grenzen, wie der Rhein, die eigentlich maßgebenden sind. Der künstlerische
Zusammenhang der linksrheinischen Gebiete unter sich im XII. Jahrhundert erhellt
auch aus der gemeinschaftlichen Anwendung der selbstgefundenen Formen. So
hat z. B. der schöne Turm der Kirche von Coussey, nicht weit von Domremy,
(Abb. 6) in seinem unteren Geschoß ein Ornamentband, welches jedesmal nach der
Turmkante zu staffelförmig aufsteigt und so um den ganzen Turm herumgeführt
wird, eine Form, die außerdem noch an St. Mathias in Trier und an St. Fides in
Schlettstadt vorkommt. Schon Viollet-le-Duc hatte ferner auf die Verwandtschaft der
Wölbungssysteme in diesen Gebieten hingewiesen, 2) die übrigens auch in Italien
vorzukommen scheinen. Sieht man indessen von den italienischen Elementen ab
und sucht hinter ihnen die eigenen Formen, so findet man, daß ihr Stil viel
stärker nach Deutschland als nach West- oder Südfrankreich gravitiert. Wie
der Turm der Kirche von Coussey ganz den Eindruck einer deutschen Archi-
tektur macht, so wird man das Portal von Laitre-sous-Amance, ebenso wie
den elsäßischen Typus in der Art der Gewände- und Tympanonbildung nicht
neben französische, sondern nur neben die deutschen Portale stellen können. Man
kann die deutschen Formen weiterhin bis ins Marnetal verfolgen, etwa bis zu dem
durchaus deutschen Turm der Kirche von Vignory. Überhaupt muß festgehalten
werden, daß in der Zeit des romanischen Stiles dessen Formen von Deutschland
aus, das damals auf dem Gipfel seiner Macht steht, ebenso westlich vordringen,
wie später die gotischen von Frankreich aus östlich.
Auch die Plastik weist auf diesen künstlerischen Ausgangspunkt. Der schlichte,
dabei so kräftige figürliche Stil des Tympanons von Laitre-sous-Amance und seiner
lothringischen Verwandten entspricht durchaus dem der Portalskulpturen von
Andlau und Gebweiler; trotz der italienischen Einflüsse ist hier dieselbe Klarheit
der Form, dasselbe flache Relief, dieselbe Haltung in den Gestalten, dieselbe Spar-
samkeit in den Gewandlinien unverkennbar, und auch für sie liegen die Parallelen
nicht in Frankreich, sondern in Deutschland.
Worauf beruht nun dem gegenüber die Intensität des gemeinsamen italienischen
Einflusses? Nicht nur auf alten politischen Beziehungen, daß z. B. um 1070 Nieder-
lothringen mit den meisten Städten Toskanas und vielen Städten Oberitaliens in
der Hand der Mathildis vereinigt war, sondern vor allem darauf, daß südlich
Lothringens und des Elsaß die wichtigste Brücke von Italien nach dem Norden
führte, das Königreich Arelat. Dieses Land, dessen Hauptstadt Arles ist, das südlich die
ganze Provence bis ans Meer umfaßt, ferner das ganze westliche Alpengebiet mit Savoyen

(1) a. a. O. Abb. 51.

(2) Viollett-le-Duc. Dictionnaire rais. de l'Architecture. Paris 1873. S. 211 ff., zitiert bei Woltmann
a. a. O. S. 51.

12 1
 
Annotationen