BEMERKUNGEN ZUR FRANZÖSISCH-ENG-
LISCHEN MINIATURMALEREI UM DIE
WENDE DES XIV. JAHRHUNDERTS
Mit zwei Abbildungen auf einer Tafel Von WILLY F. STORCK
Graf Vitzthum1) hat in seinem grundlegenden Werke die Pariser Miniaturmalerei
von der Zeit des hl. Ludwig bis zu Philipp von Valois ausführlich untersucht
und ihre Stellung zu der gleichzeitigen Malerei in England, Nordfrankreich und
Belgien dargelegt. Er charakterisiert auf Grund der hauptsächlichen Monumente
den Stil der englischen Miniaturenkunst2) und weist auf die prinzipiellen Verschieden-
heiten von der französischen hin. Die gesamte englische Hofkunst des XIII. Jahr-
hunderts zeigt sich trotzdem von Frankreich durchaus abhängig3), so daß es nichts
überraschendes hat, wenn wir zu Beginn des XIV. Jahrhunderts in der englischen
Miniaturmalerei vielfachen Anschluß an die Pariser Schulen finden. Vitzthum
(1. c. p. 68) hat dargetan, daß die Bildergalerien englischer Könige in den beiden Hand-
schriften des British Museum (Cotton Vitellius A XIII und Royal 20 A II) in An-
ordnung der Figuren, Kostüm und Zeichnung der Gesichter französischen Einfluß
verraten, ebenso wie die Erzeugnisse eines offenbar für die königliche Familie
arbeitenden Ateliers (Psalter der Königin Isabella, München Cod. gall. 16 und
Psalterium Nr. 233 in Lambeth Palace zu London). Besonders stark erscheint
der Anschluß an Paris4) bei dem berühmten Queen Marys Psalter (Brit. Mus.
Royal 2 B. VIII) und dem Gratian (Paris, Bibl. nat. lat. 3893), die gleichfalls noch
zu Beginn des XIV. Jahrhunderts entstanden sind und sowohl in Dekorations-
geschmack als Technik nicht ohne französische Vorbilder denkbar sind.
Vitzthum hat dieser mehr höfischen Kunst eine Klosterkunst von völlig indigen
englischen Charakter gegenübergestellt, deren Erzeugnisse im letzten Drittel des
XIII. Jahrhunderts sich um den Peterborough-Psalter in Brüssel (996 1—2) gruppieren5).
Ein besonders wichtiges Beispiel dieser Gruppe und offenbar aus dem Atelier des
Peterborough-Psalters herausgewachsen, ist der berühmte Arundel-Psalter (London,
Brit. Mus. Arund. 83) °).
Er besteht aus zwei Teilen, die zusammengebunden sind: der erste Teil (Fol. 1—116)
ist nach dem Stil seiner Miniaturen, die mit der Sammlung englischer Gesetze
(Cotton Claudius D II) zusammenhängen, noch vor 1300 entstanden. Jedenfalls hat
Warner7) wahrscheinlich gemacht, daß er für den 1308 gestorbenen Sir W. Howard
(1) Georg Graf Vitzthum, Die Pariser Miniaturmalerei von der Zeit des hl. Ludwig bis zu Philipp von
Valois und ihr Verhältnis zur Malerei in Nordwesteuropa. Leipzig 1907.
(2) Desgl. I. Kapitel p. 68—87.
(3) v. Schlosser, Jahrb. der Kunstsamml. des Allerh. Kaiserhauses, XVI, 1895, p. 170.
(4) Haseloff faßt sein Urteil in seiner Darstellung zusammen (A. Michel, Histoire de l'art II. I,
p. 353ff. 1906.
(5) Vitzthum, p. 73. Der Gruppe gehören weiter an: der Psalter in St. Paul in Kärnten und das
Bruchstück der Sammlung Weigel Nr. 28.
(6) Vitzthum, p. 72ff. — Ferner ist zu vergleichen insbesondere in Hinsicht auf die folgenden Aus-
führungen: Catalogue of the Arundel Mss. in the Brit. Museum. New series. vol. I. 1834, p. 23. — Archae-
ological Journal 1848, p. 70; XXI, 218; Serapeum VIII, 136; Journal of the British archaeol. Association II.
184;, p. 151; Bulletin des anciens textes fran^ais 1881, p. 72.
(7) Warner, Illuminated Manuscripts in the British Museum. III, pl. XXIII—XXV, (Diese vortreff-
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LISCHEN MINIATURMALEREI UM DIE
WENDE DES XIV. JAHRHUNDERTS
Mit zwei Abbildungen auf einer Tafel Von WILLY F. STORCK
Graf Vitzthum1) hat in seinem grundlegenden Werke die Pariser Miniaturmalerei
von der Zeit des hl. Ludwig bis zu Philipp von Valois ausführlich untersucht
und ihre Stellung zu der gleichzeitigen Malerei in England, Nordfrankreich und
Belgien dargelegt. Er charakterisiert auf Grund der hauptsächlichen Monumente
den Stil der englischen Miniaturenkunst2) und weist auf die prinzipiellen Verschieden-
heiten von der französischen hin. Die gesamte englische Hofkunst des XIII. Jahr-
hunderts zeigt sich trotzdem von Frankreich durchaus abhängig3), so daß es nichts
überraschendes hat, wenn wir zu Beginn des XIV. Jahrhunderts in der englischen
Miniaturmalerei vielfachen Anschluß an die Pariser Schulen finden. Vitzthum
(1. c. p. 68) hat dargetan, daß die Bildergalerien englischer Könige in den beiden Hand-
schriften des British Museum (Cotton Vitellius A XIII und Royal 20 A II) in An-
ordnung der Figuren, Kostüm und Zeichnung der Gesichter französischen Einfluß
verraten, ebenso wie die Erzeugnisse eines offenbar für die königliche Familie
arbeitenden Ateliers (Psalter der Königin Isabella, München Cod. gall. 16 und
Psalterium Nr. 233 in Lambeth Palace zu London). Besonders stark erscheint
der Anschluß an Paris4) bei dem berühmten Queen Marys Psalter (Brit. Mus.
Royal 2 B. VIII) und dem Gratian (Paris, Bibl. nat. lat. 3893), die gleichfalls noch
zu Beginn des XIV. Jahrhunderts entstanden sind und sowohl in Dekorations-
geschmack als Technik nicht ohne französische Vorbilder denkbar sind.
Vitzthum hat dieser mehr höfischen Kunst eine Klosterkunst von völlig indigen
englischen Charakter gegenübergestellt, deren Erzeugnisse im letzten Drittel des
XIII. Jahrhunderts sich um den Peterborough-Psalter in Brüssel (996 1—2) gruppieren5).
Ein besonders wichtiges Beispiel dieser Gruppe und offenbar aus dem Atelier des
Peterborough-Psalters herausgewachsen, ist der berühmte Arundel-Psalter (London,
Brit. Mus. Arund. 83) °).
Er besteht aus zwei Teilen, die zusammengebunden sind: der erste Teil (Fol. 1—116)
ist nach dem Stil seiner Miniaturen, die mit der Sammlung englischer Gesetze
(Cotton Claudius D II) zusammenhängen, noch vor 1300 entstanden. Jedenfalls hat
Warner7) wahrscheinlich gemacht, daß er für den 1308 gestorbenen Sir W. Howard
(1) Georg Graf Vitzthum, Die Pariser Miniaturmalerei von der Zeit des hl. Ludwig bis zu Philipp von
Valois und ihr Verhältnis zur Malerei in Nordwesteuropa. Leipzig 1907.
(2) Desgl. I. Kapitel p. 68—87.
(3) v. Schlosser, Jahrb. der Kunstsamml. des Allerh. Kaiserhauses, XVI, 1895, p. 170.
(4) Haseloff faßt sein Urteil in seiner Darstellung zusammen (A. Michel, Histoire de l'art II. I,
p. 353ff. 1906.
(5) Vitzthum, p. 73. Der Gruppe gehören weiter an: der Psalter in St. Paul in Kärnten und das
Bruchstück der Sammlung Weigel Nr. 28.
(6) Vitzthum, p. 72ff. — Ferner ist zu vergleichen insbesondere in Hinsicht auf die folgenden Aus-
führungen: Catalogue of the Arundel Mss. in the Brit. Museum. New series. vol. I. 1834, p. 23. — Archae-
ological Journal 1848, p. 70; XXI, 218; Serapeum VIII, 136; Journal of the British archaeol. Association II.
184;, p. 151; Bulletin des anciens textes fran^ais 1881, p. 72.
(7) Warner, Illuminated Manuscripts in the British Museum. III, pl. XXIII—XXV, (Diese vortreff-
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