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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 4.1911

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kann sich nur da offenbaren, wo auf die Material-
frage gründlich eingegangen wird. Auch darum
vermochten sich in den gegebenen besonderen
Zusammenhängen die Betrachtungen über den Stil
über ein zauderndes oder tastendes Streben nach
einem zeitgemäßen Stilbegriff eigentlich nicht hin-
überzuheben. Das Lichtproblem steht ebenfalls
im Vordergrund der Ausführungen. Die Bevor-
zugung heller und hellster Farben, wie sie schon
die ersten Pleinairisten unbewußt angebahnt hatten,
hat rein maltheoretisch genommen, in erster Linie
eine formale Wendung. Gemaltes Licht ist eben
helle Farbe. Die unkritische Anerkennung eines
malerischen Lichtproblems muß da notwendig zu
einer Vermischung mit der Weise der allgemeinen
akademischen Kunstauslegung führen, wie sie neben
den Maltraditionen aus der Renaissance entstanden
ist. Andererseits muß eine solche einseitig natu-
ralistische Überbetonung das Studium der Beleuch-
tungen folgerecht als höchste und letzte Aufgabe
aller Malkunst hinstellen. Im Widerspiel zwischen
physikalischer und künstlerischer Wahrheit könnte
somit nie eine entschiedene Ruhelage eintreten.
Dem künstlerischen Empfinden wäre es endlich
vielleicht entsprechender, wenn das an den Zwang
äußerer Notwendigkeiten gemahnende beliebte
Schlagwort ,Kunstgesetz', durch Wendungen um-
gangen würde, die solche inneren Erfahrungen,
wie sie aus der erfolgreichen Verhaltungsweise des
Künstlers tatsächlich hervorgehen, künftighin glück-
licher bezeichneten. — Alldies ließe sich jedoch
auch für einen bloßen Disput um Worte nehmen,
die Hauptsache bleibt: hier redet ein Eingeweihter,
der die krystallnen Tempelpfeiler der reinen Kunst
wirklich geschaut hat. Die empirische Kunst-
wissenschaft wird also vielleicht für das Studium
der heutigen Malerei neue Belege schöpfen können.
Rudolph Czapek.
M. MEURER, Vergleichende Formen-
lehre des Ornamentes und der
Pflanze mit besonderer Berücksichtigung
der Entwicklungsgeschichte der archi-
tektonischen Kunstformen. Dresden, Ver-
lag v. Gerhard Kühtmann 1909. M. 60.—.
Die Arbeit Meurers verfolgt einen doppelten
Zweck. In die Entwicklungsgeschichte des vege-
tativen Ornaments sind Ausführungen pädagogi-
scher Natur eingeflochten, die den Unterricht im
Ornamentzeichnen beleben und ihm eine neue
Richtschnur geben sollen. Die pädagogische Be-
gabung des Verfassers, wie sie sich in der Be-

wältigung des verzweigten Stoffgebietes und in
der methodischen Übersichtiichkeit bei der Zu-
sammenstellung ornamentaler Typen und bei der
Entwicklung dieser Typen aus den ihnen zugrunde-
liegenden Vorbildern zeigt, sei rückhaltlos aner-
kannt. Ein glänzendes Abbildungsmaterial, das
sich auf alle im Text behandelten Formen er-
streckt, ermöglicht jedem die Nachprüfung der bis-
weilen umfangreichen, oft höchst komplizierten
Deduktionen sowie der analytischen Zerlegung der
ornamentalen Formen in ihre Grundelemente und
in ihre entwicklungsgeschichtlich bedeutsamen,
formgebenden Faktoren. Von etwa 2000 Ab-
bildungen, die den Erfordernissen des Textes ge-
mäß teils in zeichnerischer, teils in photographi-
scher Wiedergabe zur Erläuterung des Textes
dienen, bezieht sich der größte Teil auf die Kunst
des Altertums und des Mittelalters. Auswahl und
Anordnung des Stoffes wird bedingt durch den
Gesichtspunkt, den ornamentalen Formen jedes-
mal die natürlichen Pflanzengebilde gegenüber-
zustellen, aus denen sie sich entwickelt haben.
Diese Gegenüberstellung bedeutet für die kunst-
historische Forschung eine methodische Er-
weiterung. Denn diese vergleichende Forschungs-
methode führt in den entwicklungsgeschichtlichen
Gang der Untersuchung Prinzipien ein, die in der
wissenschaftlichen Behandlung der Ornamentik in
dem Maße bisher nicht statt hatte. Zu diesen ist
vor allem die oekologische Betrachtungsweise zu
rechnen, die die moderne Naturwissenschaft aus-
gebaut hat. Aus den Beziehungen der Organismen
zur Außenwelt, zu der Gesamtheit der organischen
und anorganischen Existenzbedingungen ergeben
sich dem Naturforscher erklärende Einblicke in die
formale Gestaltung der Dinge. Diese aus der
naturwissenschaftlichen Disziplin gewonnene Ein-
stellung des Auges auf künstlerische Gebilde ver-
bindet sich mit Begriffen, die durch die Behand-
lung des modernen Kunstgewerbes ihre endgültige
Fassung gewannen. Die Anschauung von der
Bedingtheit der Formen durch den Material-
charakter, durch eine bestimmte Zwecksetzung,
durch die technischen und werkstofflichen Er-
fordernisse bildet dabei eine Art ästhetischen Wert-
messers. In ihrer methodischen Verwertung geben
diese Begriffe eine Fülle neuer Einblicke in die
Art, wie bestimmte künstlerische Perioden ihre
ornamentalen Formen bilden, wie sie in verschieden-
artigster Weise konstruktive oder schmückende
Elemente betonen, wie sie infolgedessen dazu
neigen, jedesmal nur eine festumgrenzte Zahl
pflanzlicher Motive, die einen bestimmten kleinen
Formenkreise angehören, aufzunehmen und end-

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