Wer dem Verlauf der Erzählung nachgeht und die Betrachtung der Einzelszenen
links unten beginnt, der wird zunächst mit dem stärksten Zweifel zu kämpfen haben:
ist der Verfasser dieses Marienlebens und der evangelischen Geschichten derselbe
Maler, wie der Urheber des Fresko droben mit dem Weltgericht? Vorsichtig drückt
sich deshalb auch Carl Justi in seiner orientierenden Einführung „zur spanischen
Kunstgeschichte" (S. LXXV im Baedeker) aus: „Der Maler der Freske in der
Alten Kathedrale von Salamanca nennt sich Nicolas Florentino", — das bezieht
sich auf den Kontrakt vom Jahre 1445, und geht nicht weiter. Wer nicht mit guten
Augen oder einem scharfen Gucker versehen ist, sieht überhaupt die obersten
Reihen nicht mehr deutlich, urteilt also notwendig nach den erreichbaren untern.
Indessen ist es doch schon aus örtlichen Bedingungen das Wahrscheinliche, daß
nach Auswahl und Disposition der Momente, bei denen der Auftraggeber mitzu-
sprechen hatte, die Ausführung durch den Maler bei den obersten Elf begonnen
ward, die sich dem Fresko zunächst anschließen sollten. Schon in Rücksicht auf
die Länge der Arbeit und etwaige Unterbrechung empfahl es sich so zu verfahren.
Die gut sichtbaren Tafeln mochten so auch die reiferen Werke werden, oder diese
genießbaren Darstellungen entstanden in größerer Muße neben den oberen, auch für
weitsichtige Augen nur bei günstigstem Tageslicht genauer faßbaren Stücken. Ein-
gehende Prüfung mit Ferngläsern ergibt indeß, daß die Ausführung oben nicht
minder sorgfältig gewesen ist, wohl aber daß der Fortschritt in der Entwicklung
des Künstlers sich in umgekehrtem Gange bewegt als die Erzählung, d. h. daß die
oberen Reihen die früheren sind, dem Stile nach, die unteren die letzten. Und mit
dieser Feststellung der Reihenfolge ihrer Ausführung gewinnen wir auch den An-
schluß an das Fresko, nicht nur stofflich, sondern auch stilistisch. Die oberste
Reihe gewährt die Beweise für die Identität des Meisters dieser Tafelbilder mit
dem urkundlich bekannten Autor des Wandgemäldes in der Halbkuppel. Ist dieser
1445 Nicolas, so ist es auch jener in den folgenden Jahren: was sich verändert
mag als eine natürliche Abwandlung unter neuen Verhältnissen, d. h. des Italieners
in Spanien, einleuchten. Eine andre Frage allerdings drängt sich auf, je weiter wir
nach unten fortschreiten zur Jugendgeschichte Christi und zum Beginn des Marien-
lebens: ist dieser Nicolas wirklich Florentiner, und nicht nur der Geburt oder Heimats-
berechtigung nach im Umkreis von Florenz zu suchen, sondern auch künstlerisch,
hier in Toskana und hier allein zu Hause? Darüber kann nur die genaue Analyse
des ganzen Bilderzyklus uns belehren. So kommen wir zu jenem Ausnahmefall in
der Reihenfolge zurück.
Die oberste Reihe beginnt mit dem Eintritt des Gottessohnes in die Vorhölle und
schließt mit der Krönung Marias durch den Gottessohn im Himmel. Die Gegen-
überstellung erklärt vielleicht die Abweichung von der gewohnten Folge der Szenen,
die darin liegt, daß auf den Abstieg in die Unterwelt noch die Beweinung des
Toten im Grabe folgt, die eigentliche Bestattung, die an das letzte Bild der vorigen
Reihe, die Grabtragung, unmittelbar anschließen sollte. Oder ist diese Umschiebung
zugunsten des andern Gegensatzes geschehen, zur Auferstehung aus dem Grabe,
die nun folgt? Jedenfalls gehören der Christus im Limbus und der Sieger über den
Tod ganz eng zusammen durch die Bekleidung mit demselben blauen goldgezierten
Mantel. Mit dem Siegesbanner in der Hand kommt er von links her an den Ab-
grund geschritten, während ein nackter Mann neben ihm das Kreuz aufrichtet, und
reicht seine Rechte dem greisen Adam, ihn hervorzuziehen. Der Rettung harrend
drängen sich die übrigen aus der Höhle des braunen Hügels hervor. Da ist schon
in der Vorliebe für eingreifende Bewegung derselbe Künstler zu erkennen, der
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links unten beginnt, der wird zunächst mit dem stärksten Zweifel zu kämpfen haben:
ist der Verfasser dieses Marienlebens und der evangelischen Geschichten derselbe
Maler, wie der Urheber des Fresko droben mit dem Weltgericht? Vorsichtig drückt
sich deshalb auch Carl Justi in seiner orientierenden Einführung „zur spanischen
Kunstgeschichte" (S. LXXV im Baedeker) aus: „Der Maler der Freske in der
Alten Kathedrale von Salamanca nennt sich Nicolas Florentino", — das bezieht
sich auf den Kontrakt vom Jahre 1445, und geht nicht weiter. Wer nicht mit guten
Augen oder einem scharfen Gucker versehen ist, sieht überhaupt die obersten
Reihen nicht mehr deutlich, urteilt also notwendig nach den erreichbaren untern.
Indessen ist es doch schon aus örtlichen Bedingungen das Wahrscheinliche, daß
nach Auswahl und Disposition der Momente, bei denen der Auftraggeber mitzu-
sprechen hatte, die Ausführung durch den Maler bei den obersten Elf begonnen
ward, die sich dem Fresko zunächst anschließen sollten. Schon in Rücksicht auf
die Länge der Arbeit und etwaige Unterbrechung empfahl es sich so zu verfahren.
Die gut sichtbaren Tafeln mochten so auch die reiferen Werke werden, oder diese
genießbaren Darstellungen entstanden in größerer Muße neben den oberen, auch für
weitsichtige Augen nur bei günstigstem Tageslicht genauer faßbaren Stücken. Ein-
gehende Prüfung mit Ferngläsern ergibt indeß, daß die Ausführung oben nicht
minder sorgfältig gewesen ist, wohl aber daß der Fortschritt in der Entwicklung
des Künstlers sich in umgekehrtem Gange bewegt als die Erzählung, d. h. daß die
oberen Reihen die früheren sind, dem Stile nach, die unteren die letzten. Und mit
dieser Feststellung der Reihenfolge ihrer Ausführung gewinnen wir auch den An-
schluß an das Fresko, nicht nur stofflich, sondern auch stilistisch. Die oberste
Reihe gewährt die Beweise für die Identität des Meisters dieser Tafelbilder mit
dem urkundlich bekannten Autor des Wandgemäldes in der Halbkuppel. Ist dieser
1445 Nicolas, so ist es auch jener in den folgenden Jahren: was sich verändert
mag als eine natürliche Abwandlung unter neuen Verhältnissen, d. h. des Italieners
in Spanien, einleuchten. Eine andre Frage allerdings drängt sich auf, je weiter wir
nach unten fortschreiten zur Jugendgeschichte Christi und zum Beginn des Marien-
lebens: ist dieser Nicolas wirklich Florentiner, und nicht nur der Geburt oder Heimats-
berechtigung nach im Umkreis von Florenz zu suchen, sondern auch künstlerisch,
hier in Toskana und hier allein zu Hause? Darüber kann nur die genaue Analyse
des ganzen Bilderzyklus uns belehren. So kommen wir zu jenem Ausnahmefall in
der Reihenfolge zurück.
Die oberste Reihe beginnt mit dem Eintritt des Gottessohnes in die Vorhölle und
schließt mit der Krönung Marias durch den Gottessohn im Himmel. Die Gegen-
überstellung erklärt vielleicht die Abweichung von der gewohnten Folge der Szenen,
die darin liegt, daß auf den Abstieg in die Unterwelt noch die Beweinung des
Toten im Grabe folgt, die eigentliche Bestattung, die an das letzte Bild der vorigen
Reihe, die Grabtragung, unmittelbar anschließen sollte. Oder ist diese Umschiebung
zugunsten des andern Gegensatzes geschehen, zur Auferstehung aus dem Grabe,
die nun folgt? Jedenfalls gehören der Christus im Limbus und der Sieger über den
Tod ganz eng zusammen durch die Bekleidung mit demselben blauen goldgezierten
Mantel. Mit dem Siegesbanner in der Hand kommt er von links her an den Ab-
grund geschritten, während ein nackter Mann neben ihm das Kreuz aufrichtet, und
reicht seine Rechte dem greisen Adam, ihn hervorzuziehen. Der Rettung harrend
drängen sich die übrigen aus der Höhle des braunen Hügels hervor. Da ist schon
in der Vorliebe für eingreifende Bewegung derselbe Künstler zu erkennen, der
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