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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 4.1911

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in seinen zahllosen Porträtbüsten bei den Männern den Charakter, bei den Frauen
die Anmut und bei den Kindern die naive Unschuld zum Ausdruck zu bringen.
Der Herzog erscheint in Uniform mit Stern und Band des Dänischen Elefanten-
ordens (Abb. i). In diese jugendliche Stirn hat die Zeit allerdings noch keine Furchen
gegraben, diesem Kopf hat das Leben noch nichts von seinen dunklen Sorgen und
Geheimnissen aufgeprägt. Aber wie fein ist die Bildung der Kopfform umrissen,
wie sicher ist die Zeichnung der scharfblickenden Augen und des leichtgeöffneten
Mundes ausgeführt, wie untrüglich ist in Haltung und Physiognomie die Vornehm-
heit der Geburt zum Ausdruck gebracht!
Feiner noch im Detail scheint das Porträt der Prinzessin Louise ausgeführt (Abb. 2).
Vielleicht hat sie mehr Sitzungen im Atelier über sich ergehen lassen als der Ge-
mahl, vielleicht brachte der Künstler aber auch unbewußt in diesem Porträt die
besondere Stellung der Frau in der damaligen Gesellschaft von Paris zum Aus-
druck, die eigentlich in Kunst und Leben den Ton angab, die Männer beherrschte
und erst durch die Revolution entthront wurde. Die Anordnung des Haares sowohl
wie die Drapierung des Gewandes über der einfachen Spitze überraschen durch
ihre Schlichtheit. Melle Bertin, die einst allmächtige Modistin der Königin, hatte
den Zenith ihres Ruhmes bereits überschritten, und Marie Antoinette gab nicht
mehr Unsummen für eine einzige Toilette aus. Die extravaganten Coiffuren en
Herisson und ä l'Iphigenie waren schon damals den einfacheren Haartrachten ä
l'Enfant und ä la Captif gewichen1). Die Freude an prächtigen Toiletten, an
glänzendem Schmuck und üppigen Haartrachten war ihrer Majestät nur allzuschnell
vergällt worden. „C'est ici le siecle de la simplicite", schreibt die fein beobachtende
Hofdame der Prinzessin in ihr Tagebuch, „jamais les femmes ne l'ont ete
davantage!"
Was Wunder also, wenn Houdon aus diesem Frauenbildnis jede Convention
verbannte, wenn er sich bestrebt zeigt, vor allem die natürliche Anmut und Frische
einer schönen jungen Frau zum Ausdruck zu bringen? Die äußerst lebendig aus-
geführten Haare umschließen die hohe Stirn wie ein duftiger Kranz, die Augen
blicken weitgeöffnet in die Ferne, ein Zug von Melancholie und Herzensgüte ver-
leiht dem Munde einen eigentümlichen Reiz. Man meint, die Psyche dieser Frau
sei dem Künstler in der Tat als ein höchst fesselndes Problem erschienen2).
Zum Glück begnügte sich der Thronfolger Mecklenburgs nicht damit, sich selbst
und die Prinzessin von Houdon porträtieren zu lassen. Es gelüstete ihn vielmehr
darnach auch von anderen Werken des Meisters wenigstens gute Kopien zu be-
sitzen"). Denn jedermann wußte, daß Houdon auch die Gipsabgüsse seiner Originale

(1) Henri d'Almeras, Les amoureux de la Reine Marie-Antoinette. Paris s. a. p. looff.

(2) Die Tonbüste der Prinzessin trägt den Stempel Houdons aus rotem Wachs: Academie royale de
peinture et sculpture. Houdon sc. Die Tonbüste des Prinzen steht auf einem Fuß von dunklem
afrikanischem Marmor. Sie trägt außer dem Stempel noch die Bezeichnung Houdon 1783. L. Gonse
(Les chefs-d'oeuvres des Musees de France, Paris 1904, p. 124) behauptet, das rote Wachssiegel sei
den Büsten Houdons erst für die Auktion in seinem Atelier i. J. 1828 aufgedrückt worden. Dann
müßten fast sämmtliche Schweriner Büsten erst i. J. 1828 erworben sein, was wenigstens bei den
Büsten des Prinzen und der Prinzessin ausgeschlossen ist.

(3) Das Museum besitzt heute außer den Porträts des Herzogs und der Herzogin vierzehn Büsten
Houdons. Von diesen sind zwölf — so scheint es — von den Herrschaften damals selbst bestellt und
ausgewählt worden. Zwei Büsten dagegen — die des Lavoisier und des Duc de Nivernais sind erst
später entstanden und müssen daher später von Schwerin aus noch nachbestellt worden sein. Sämmt-
liche Büsten sind vor 40 Jahren etwa mit einer häßlichen Tonfarbe überstrichen worden, die neuer-

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