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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 4.1911

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ZUR REKONSTRUKTION DES ULMER
WENGENALTARS

Von JULIUS BAUM

Die Zusammensetzung des Ulmer Wengenaltares kann nicht so gewesen sein,
wie Konrad Lange in seinem im übrigen grundlegenden Aufsatze über dieses
Werk Zeitbloms und seiner Werkstatt im Repertorium für Kunstwissenschaft 1907,
S. 514fr. angenommen hat. Lange erkannte richtig, daß es sich um einen Wandel-
altar mit Mittelbild und zwei Flügelpaaren handele. Als Mittelbild vermutete er die
in der Tat aus der Wengenkirche stammende Beweinung Christi im Germanischen
Museum zu Nürnberg, die Flügel dachte er sich in ungewöhnlicher Weise derart
geordnet, daß die äußeren mit Scharnieren an den inneren, statt am Schreine
befestigt seien. Bei völlig geschlossenem Zustande des Altares waren darnach die
Außenflügel nach innen geklappt und völlig unsichtbar; dafür kämen die Außen-
seiten der inneren Flügel mit einer Darstellung des Ölberges zum Vorschein.
Öffnete man den Altar, ließ aber die Außenflügel noch zugeklappt, so hatte man
auf den Außenseiten der Außenflügel die heute fragmentierten Bilder links der
Apostel Jacobus senior und Bartholomäus (Ulm), rechts der hl. Margaretha (Stutt-
gart und Karlsruhe) vor sich. Klappte man endlich auch die Außenflügel noch auf,
so boten sich auf beiden Seiten des Schreines vier Bilder, und zwar auf den beiden
vom Betrachter aus linken Flügeln oben Verkündigung (Ulm), Gesellschaft männ-
licher Heiliger (Ulm), unten Himmelfahrt Christi (Ulm) und Darstellung im Tempel
(Ulm), auf den beiden rechten Flügeln oben Versammlung weiblicher Heiliger (Ulm),
Geburt Christi (Stuttgart), unten Beschneidung Christi (Ulm), Hostienwunder
(Karlsruhe).
Gegen diese Rekonstruktion müssen zunächst folgende Einwände erhoben werden:
I. Die genannte Form des Klappaltares kommt in Schwaben am Ende des XV. Jahr-
hunderts, außerhalb Halls, nicht vor. 2. Die Nürnberger Beweinung ist 1.62 m breit,
1.76 m hoch, die Flügel sind jeweils etwa 0.65 m breit, 1.20, zusammen also 2.40 m
hoch. Die doppelt übereinander geklappten Flügel hätten demnach das Bild an Höhe
weit überragt, in der Breite aber nicht zugedeckt. 3. Große Altäre mit gemaltem
Mittelbild lassen sich in Ulm in den neunziger Jahren noch nicht nachweisen. Die
erste Arbeit dieser Art ist das kleine gemalte Apostelaltärchen, das heute in der
Blaubeurer Margaretenkapelle steht, kaum vor der Jahrhundertwende geschaffen.
4. Es kann kein Zweifel sein, daß die Nürnberger Beweinung stilistisch reifer, also
später zu datieren ist als die Flügel des Wengenaltares. Zu diesen vier Einwänden
aber kommt als fünfter und entscheidender Faktor der Befund der Rückseiten der
Ulmer Flügelbilder.
Durch Langes Forschungen ist mit Sicherheit festgestellt, daß auf der Rückseite
der Geburt Christi und des Hostienwunders die hl. Margaretha, auf der Rückseite
der Verkündigung und Himmelfahrt die Apostel Jacobus und Bartholomäus zu sehen
waren. Bezüglich des Ölberges hatte Lange schon in Erfahrung gebracht, daß sich
auf der Rückseite des Petrus früher die Darstellung im Tempel befand und daß
auf der Rückseite der Beschneidung und der beiden Heiligenversammlungen noch
jetzt Reste des Ölberges zu finden seien; leider aber hat er diese Rückseiten, wie
aus seiner Rekonstruktion hervorgeht, nicht selbst gesehen. Denn es zeigt sich,
daß auf der Rückseite der Beschneidung der Engel und ein kleiner Teil des Hauptes
Christi, auf der Rückseite der Heiligenversammlungen aber der Unterkörper des

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