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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 4.1911

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Mu Ch'i, spricht M. als eine japanische Arbeit der
letzten Jahrhunderte an! Der Shogun Yoshimasa
(er starb 1490), ein großer Sammler und feiner
Kenner, war der Besitzer dieses schon damals als
klassisch geschätzten Werkes! Der artigen Ent-
gleisung folgt ein Nachsatz, förmlich vibrierend
von Snobismus: „auch der Stempel von Muchi
auf diesem Bilde macht eine Fälschung sehr wahr-
scheinlich."
Unwissenheit und Nachlässigkeit spielen förmlich
„Haschen" in dieser Kunstgeschichte. Aus Garudas
(japanisch Tengu) wurde Ganduras, aus der
Hanlin Universität wird Hanli, aus Hanshan und
Shihte wird ein berühmtes Dichterpaar (es sind
Narren), aus Eremiten werden, man spürt die noch
warme englische Quelle, Hermiten; auf pag. 245
wird vom Sohn des Shogun Yoshimasa als dem
Besitzer eines Bildes gesprochen und die Regie-
rungszeit des Vaters in Klammern hinzugefügt
(M. war augenscheinlich zu bequem, den Namen
des Sohnes nachzuschlagen). Bilder des Dharma
werden Porträts genannt (als wenn es erlaubt wäre,
von Porträts des hl. Lorenz oder Hieronymus zu
sprechen!) und Abb. 215 wird in der Bildunter-
schrift als ein Mingpen (ein Zeitgenosse Yen
Huis, der nur die Inschrift verfaßt hat), im Text
aber als Yen Hui selbst bezeichnet und ausführ-
lich behandelt. Bald gibt Münsterberg die chinesi-
sche, bald die japanische Lesung des Künstler-
namens; ja, er schreibt so kritiklos und hastig von
seinen ins Englische übersetzten Quellen ab, daß
auf S. 269, mitten im deutschen Text, und dann
noch einmal als Bildunterschrift, gewissermaßen
als Kronzeuge verdächtiger Eile, ein englischer
Passus stehen bleibt: „das Bild trägt die Inschrift
Neng shih of Lung men." Man könnte denken,
Neng shih sei ein in China naturalisierter Engländer
gewesen. Im Vorwort entschuldigt sich Münsterberg
wegen der ungenauen Transkription der Namen
und glaubt so, Vorwürfen damit ein für alle Mal
die Spitze abgebrochen zu haben; die beispiellos
frivole Art aber, in der dieser Historiker der
chinesischen Kunst mit den wichtigsten Namen
und den sich dahinter verbergenden Persönlich-
keiten umspringt, läßt die stärksten Zweifel auf-
kommen, ob er überhaupt mit irgend einem der
Namen einen Vorstellungsinhalt verbindet. Denn
wie wäre es sonst möglich, daß er dreimal hinter-
einander von seinen Katalogzetteln Liu Liang statt
Lin Liang abschreibt, daß er Lü Chi Lii Chi liest,
aus Chiu Ying Chou Ching usw. usw. usw. macht?
Infolge dieser babylonischen Namensverwirrung
ereignet sich denn der groteske Lapsus,
daß man einem einzigen Künstler Chiu

(oder Kiu) Ying, in drei verschiedenen
Gestalten, als Kiu-ching in der Mitte des
XIV. Jahrhunderts, als Chou Ching im
XV.Jahrhundert und endlich als Chiu Ying
um 1500 begegnet. Doch Münsterberg begnügt
sich nicht mit einem Fehltritt so grandioser Art.
Chang Yüehhu, vom Maler-Experten Soami erwähnt
und bekannt als Befruchter von Shubun und Shugetsu,
macht bei Münsterberg als „unbekannter" Sung-
meister sein Debüt (Abb. 169) und wird 40 Seiten
später (Abb. 216) noch einmal als ein Yuanmeister
behandelt. Ebenso wird Chao Chung-mu, der
Maler eines klassischen Reiherbildes (Abb. 203 bei
Münsterberg, der es „eine schöne Komposition
an Linie und Farbenflecken" nennt) auf S. 248
unter dem Namen Chan Chungmu erst als Re-
präsentant der Sung-Periode charakterisiert und
dann noch einmal auf S. 277 als Chao Chungmuh
in das Ende der Yuan-Zeit eingeschmuggelt. Tai
Wen-chin lebt als Tai Wen-chin auf S. 283 sein
in Armut und Ungnade verbrachtes Dasein bis
ans bittere Ende; auf der nächsten Seite beginnt
er ein neues Leben als Tai-chin und stirbt dort
drolliger Weise eines zweiten ebenfalls bitteren
Todes. Daß es sich um denselben Künstler, um
dieselben Lebensschicksale handelt, merkt Münster-
berg in seiner ungerechtfertigten Hast nicht! Diesem
Beispiel analog läßt er den Yuanmeister Kao Janhui
einmal als Kao Janhui in der Yuan-Periode (1280
bis 1368) auftreten und dann noch einmal als
Kao Sheng hui in der Mandschu-Zeit (im XVII. Jahr-
hundert! nach 300 Jahren!) wie einen Phönix aus
der Asche erstehen. Münsterberg findet zwar, daß
dieser zweite Meister etwas yuanartig wirkt, fügt
aber scharfsinnig hinzu: „trotz einer fast gleich-
guten Technik sehen wir (!) deutlich (!) den Unter-
schied von etwa 400 Jahren."
Doch es würde Bogen füllen, wollte ich diese
Schatzkammer völlig ausräumen. Zur Erheiterung
nach so viel trockenem Tatsächlichen sei mir ge-
gestattet, ein kleines Bouquet Münsterbergischer
Stilblüten von singulärem Duft und wahrhaft öst-
lichem Farbenzauber darzubringen. Pag. 333. Die
Fläche ist geschmackvoll gefüllt, ein elegantes
Kunstgewerbe. — 304. Es fehlt jene wundervolle
Luftperspektive, die den Zauber des Landaufent-
haltes andeutet. — 283. Der Zeitgeist der sach-
lichen Erzählung hat die Ausführung etwas beein-
flußt. — 281. Ein unsichtbarer Mond läßt alles
deutlich erkennen. — 276. Dasselbe gilt für das
liebevoll durchgeführte Bildchen der fetten Ratte
mit ihren Jungen in der Melone. — 260. In ele-
ganter Linienführung, großzügig und interessant,
ist der Kopf des berühmten (!) Priesters Dharma

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