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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 4.1911

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Kopien, Repetitionen oder Arbeiten eingewanderter
chinesischer Künstler seien in Japan erhalten. Er
selbst widerlegt sie am bündigsten damit, daß er
seine ganze Geschichte chinesischer Malerei auf
diesen Kopien und Repetitionen aufbaut. Von den
etwa 150 Abbildungen des Abschnittes veranschau-
lichen nur etwa acht Reproduktionen Gemälde, die
nicht (oder nicht mehr) in Japan auf bewahrt werden.
Diese acht Kakemono im nichtjapanischen Besitz
sind die einzigen, die Münsterberg im Original
zu prüfen Gelegenheit gehabt hat — daher spricht
er, stets bescheiden, von seinem „umfangreichen
Material, bereichert durch eigene Anschauung von
Originalen" — alle übrigen Gemälde, und dies
sind, es sei nochmals betont, die Hauptstützen
seiner Kunstgeschichte, kennt er nur aus Repro-
duktionen und bildet sie nach solchen ab. Welches
Anathema wäre wohl scharf genug für einen Histo-
riker europäischer Kunst, der wagen würde, die
Geschichte europäischer Malerei auf Grund von
Abbildungen und zwar solchen, die er selbst als
unzureichend bezeichnet, zu verfassen! Hieraus
erklären sich bei Münsterberg Irrtümer geradezu
grotesker Art. Ein Vogelbild von Hsü Hsi (Zeit
der fünf Dynastien, 907—960 n. Chr.) „ist so
tadellos erhalten, daß es eher als ein Bild der
Ming-Zeit erscheint". — Münsterberg urteilt nach
der völlig ungenügenden Reproduktion der „Kokka",
die eine Umzeichnung nach dem Original benutzt
und alle Halbtöne, alle Risse und Altersschäden
unterschlagen hat! Vor zwei Reproduktionen nach
Bildern des Kaisers Huitsung treibt Münsterbergs
Stilkritik köstliche Blüten (pag. 248). Das eine,
so phantasiert er, sei sung-artig, das andere („der
bunte, aber ungraziöse Vogel, die kleinliche Aus-
führung der Federn usw.") scheine mehr dem de-
korativen Stil der Mingzeit zu entsprechen. Münster-
berg urteilt von einer bilderbuchartigen, unsäglich
albernen Reproduktion: die Zeitschrift „Kokka"
hat sie reproduzieren lassen nach einer Zeichnung,
die nach der 250 Jahre alten Tannyuschen Kopie
des Originales (beim Marquis Inouye) angefertigt
wurde! Und da dieser Reproduktion einer Kopie
einer Kopie natürlicherweise „das innere Leben
fehlt", so kann es kein Werk der Sung-Zeit sein.
Flüchtigkeiten, Widersprüche, Entgleisungen
jagen sich. Auf S. 184 heißt es: „Li Ssusün
malte in bunten Farben (!) die hochaufgetürmten
Felsen des Nordens" (von China), und drei Seiten
später unternimmt derselbe Autor (mit Hilfe von
Leuten, die an Ort und Stelle gewesen sind) den
Beweis, daß im Norden Chinas die flachen Steppen
sich befinden, am Yang tse aber die hohen Fels-
grate. Bei der Behandlung der Sungmeister fällt

die Bemerkung „erst Yunlin, einer der großen Maler
der Yuandynastie, führte die Aufschrift eines Ge-
dichtes usw. ein" ... Auf S. 244 reproduziert
Münsterberg gleich zwei Bilder von Sungmeistern,
also der Yuan vorangehenden Dynastie; beide tragen
Aufschriften, und hier heißt es plötzlich im Text:
auf beiden Bildern ist der freie Raum mit Schrift
belebt; diese Sitte scheint damals (also in der Sung-
Zeit!) aufgekommen zu sein.. .. Münsterberg
hat vergessen, daß er sie auf Seite 210 von einem
Yuan-Meister einführen läßt! Auf S. 211 wird der
riesige Daibutsu Kamakuras, in dessen Rücken ich
wie so viele andere Touristen herumgeklettert bin,
als „Vollguß", erwähnt und es werden für China
daraus Schlüsse gezogen. Die Malerei der T'ang-
Periode, aus der uns kein einziges authentisches
Bild erhalten ist, charakterisiert Münsterberg ein-
mal als naturalistisch und elegant, gleich darauf
als kleinlich und bunt. Wie Ruisdael an seinen
Baumstümpfen, so ist Ma Yuan (und seine Schule)
an dem bizarr in das Bild hineinschneidenden
Kiefernast oder Zweig kenntlich. Münsterbergs
Analyse gleitet über dieses sinnfällige Charakte-
ristikum hinweg und entschädigt uns durch Medi-
tationen, auf die man das von ihn selbst ge-
prägte Wort „Pflaumenbaumphilosophie" anwenden
möchte : Wir sehen den einzelnen Baum in knorriger
eckiger Form dem Raume angepaßt .... Alles
übrige ist ausgefüllt mit Luftperspektive , (!) als
Symbol der Ewigkeit... Nichts gibt den Ge-
danken eine bestimmte Richtung .. ." Den Höhe-
punkt des Dilettantismus erreicht M. bei der „Ana-
lyse" der Werke des großen Mu Ch'i. Da ihm selbst
die verschiedenen Stile dieses Meisters verwirren
(er urteilt nämlich wieder nach Kokka-Reproduk-
tionen, ja nach den völlig ungenügenden des
Bijitsu Gwahö), so überläßt er es dem Publikum,
durch Vergleichung seiner gräulich undeutlichen
Autotypien sich ein eigenes Urteil zu bilden.
Münsterbergs Resüme selbst schließt sich würdig
dem Tenor des Ganzen an. Der Tiger des Daito-
kuji ist schlecht („die Ausführung, besonders der
Hintergrund, zeigt eine mittelmäßige Hand"), denn
den prachtvollen Furor, mit dem der Regen den
Bambus im Hintergründe peitscht, hat die Kokka-
Reproduktion, von der M. abliest, unterschlagen.
M. weiß nicht, daß dieses von ihm wegen der
Unzulänglichkeit der Reproduktion angezweifelte
Bild zu dem Pentaptychon aus Yoshimasas Besitz
gehört, dessen andere Stücke er als unzweifelhaft
echt als Abbildung 182 abbildet. Die „Krähe"
(Abb. 191), eines der berühmtesten Bilder von
(1) Die Luftperspektive ist der halbtonlose Hintergrund
einer Kokka-Reproduktion!

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