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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 4.1911

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gabung, ihrem sonnigen, leicht sich erschließenden
Temperament und den vornehmen Adel ihrer
Natur einen reichen und anregenden Mittelpunkt
geschaffen hatte, wie die Deutschen seit langem
keinen mehr besessen hatten. Ihr Hingang löst
aber auch schmerzliches Bedauern im Hinblick
auf ihre literarische Tätigkeit aus. Neben all ihren
vielseitigen geselligen Verpflichtungen, neben der
rührenden Pflege der Freundschaftspflichten hatte
sie immer noch Zeit und Muße zu literarischen
Arbeiten gefunden, früher mehr in dichterischer
Form, wovon ihre Gedichtsammlungen „Psalter
der Liebe" und „Sturm und Stille" hervorragende
Proben enthalten; mehr und mehr vertiefte sie
sich aber in kunst- und kulturgeschichtliche Studien,
deren Erträgnis sie in glänzende Essais umsetzte.
Fast als ob sie der dunklen Wolke, die über ihrem
Dasein stand, bewußt gewesen wäre, geizte sie
mit der kostbaren Zeit für diese Arbeiten, suchte
sie mit fieberhafter Energie auch den letzten Ver-
zweigungen eines geschichtlichen Problems nach-
zugehen. Von all dieser schweren Vorarbeit merkt
man in ihrer Darstellung nichts mehr; so sehr hat
die künstlerische Gestaltungskraft alle Ecken ab-
gerundet. Nur aus den Anmerkungen tritt uns die
erstaunliche Gelehrsamkeit der Verfasserin entgegen;
hier steckt, wie man auch am vorliegenden Buch
ersehen kann, eine Unsumme feiner anregender
Bemerkungen und interessanter Beobachtungen.
In den „Pilgerfahrten" hat der Herausgeber, ihr
Mann, eine Anzahl ihrer besten Essais mit vier
eigenen zusammengestellt. Sie sind durchweg
Gestalten, weihevollen Orten, Problemen italieni-
scher Geschichte im weitesten Sinne des Wortes
gewidmet und hatten schon vordem in Zeitschriften
einen größeren Leserkreis ergriffen und beglückt.
Steinmann selbst hat seinen Nachruf an Emilie
Peruzzi, einen der ergreifendsten Essais und fein-
sinnigsten Charakterzeichnungen, „das Geheimnis
des Meisters" (Michelangelo), die wertvollen Studien
über Michelangelo in Rom und das Stimmungs-
bild über Capri beigesteuert. Die Hingeschiedene
selber hat immer nur der Psyche einer Zeit und
der im Strome hochgehenden geschichtlichen
Lebens stehender Personen nachgegrübelt. Sie
fühlte sich „in jener brennenden Ruhmessehnsucht
den großen Männern und Frauen der italienischen
Renaissance wahlverwandt, mit denen sich ihr
Geist am liebsten beschäftigte." Die Tragik des
Erlebens, die Größe des Schaffens und die Tiefe
des Denkens und Empfindens suchte sie in allem
Mechanismus des geschichtlichen Werdegangs;
auch im großen Pomp und in der schäumenden
Lebenslust der Renaissance verlangte sie neben und

zu dem Verstand und Willen vor allem Seele und
Gemüt. Alles Kleine und Unechte war ihr zu-
wider. Leidenschaftlich strebte sie in der Ge-
schichte wie im Leben nur nach der Wahrheit
und — nach der Schönheit: hierin eine echte
Renaissancenatur, eine Schwester jener Isabella
und Beatrice d'Este, deren geistiges Bild sie vor
uns erstehen ließ. Schon gleich das erste Kultur-
gemälde der „Pilgerfahrten", „Am Hof der Sforza",
offenbart uns die Neigungen und Interessen der
Verfasserin in hervorragendem Grade, wie sie aus
den Sphinxaugen der Mona Lisa und aus den
Kindesaugen der Unkekannten der Ambrosiana,
wohl der Bianca Sforza, die Erlebnisse der großen
Tage am Hofe Ludovicos il Moro herauszulesen
und damit, immer auf dem Boden geschichtlicher
Tatsachen sich haltend, ein köstliches Kulturbild
herstellt. Ähnlich meisterhaft als Seelenanalyse
ist die ikonographische Studie „Violante und Venus",
die die Leser der „Monatshefte" erstmals vor Jahres-
frist zu lesen bekamen, ein neuer Versuch, hinter
das Geheimnis der „Irdischen und himmlischen
Liebe" und dadurch auch hinter das Geheimnis
des großen Meisters selber zu kommen. Ihre
Lieblingsneigung für Musik kam zu ihrem Recht
in den zwei musikgeschichtlichen Essays „Der
Meister von Cremona" -— ein glänzender Abriß
der Kultur- und Kunstgeschichte der Stadt — und
in „Francesco Landini degli Organi", zu dem sie
eine Miniaturhandschrift in Florenz inspiriert hatte.
Ein Seitenstück zu ihren „Hochzeitsfesten der Re-
naissance" bildet das farbensatte Gemälde „Karneval
in Venedig"; stimmungsvolle Landschaftsbilder in
großem Stil sind die Aufsätze, „Flora des Forum
Romanum", „Römische Villen" und „Caprarola".
Mit sicheren Strichen verstand sie in allen diesen
Studien ein farbenreiches, bis in die Einzelheiten
hinein plastisch klares und zuverlässiges Bild zu
entwerfen. Zwischen die Abhandlungen hat der
Herausgeber Perlen ihrer dichterischen Gabe, die
Tränen einsamer, tieftrauriger oder unbeschreib-
lich glücklicher Stunden gestreut und damit am
besten den ernsten Grundzug ihres Wesens gekenn-
zeichnet. Denn restlos und sorglos froh und glück-
lich ist die hochbegabte Frau nie gewesen; es klang
aus all ihren Äußerungen immer ein ernster Akkord
heraus. „Selbst in den frühen Lebenstagen", schrieb
sie mir einmal, „da man nichts weiß und nichts
hofft, war ich nicht glücklich." Möchte diese
letzte Gabe über ihr Dasein hinaus noch möglichst
vielen Menschen Glück und Anregung bescheren.
Das war auch ihr letzter Wunsch, der in den er-
greifenden Versen am Schlüsse des Buches aus-
gesprochen ist. J. Sauer.

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