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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 4.1911

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Plünderung durch die französische Armee zu bewahren, schenkte der Magistrat der
Stadt dem Kommandanten der Okkupationstruppen, General Giuseppe Lechi, das
kostbare Werk1). Der General entledigte sich bald für 3600 Zechinen des Bildes,
das nun in den Besitz des Sammlers Giacomo Sannazari in Mailand kam, der es
bis an sein Lebensende hoch in Ehren hielt. Vom Ospedale Maggiore, das es ge-
erbt hatte, kaufte es die italienisch-französische Regierung für den bescheidenen
Preis von 45 000 Lire. Am 5. April 1806 erwarb es die Direktion der Brera-Galerie
zugleich mit der Madonna Giovanni Bellinis von 1510 und der Assunta von Marco
d'Oggiono, auf Befehl des Vizekönigs Eugen Beauharnais. Noch einmal kam das
Sposalizio in Gefahr: Im Jahre 1859, als die Franzosen in Mailand einzogen, wollten
die hochwohlweisen Stadtväter nach dem Vorbilde derer zu Cittä di Castello es den
Siegern schenken. Es ist ein Glück, daß dieser Beschluß nicht zur Ausführung gelangte.
*
Im Jahre 1504 kehrte Raffael nach Urbino zurück. Damals war die kleine Stadt
am Ufer des Metaurus eines der bedeutendsten Centren des Humanismus in Italien.
Um die kluge und geistvolle Elisabetta Gonzaga, die Gemahlin Herzog Guidobaldos
und um die edle Maria Pia, die Braut eines natürlichen Bruders des Herzogs,
pflegte sich in den Abendstunden die Blüte der kirchlichen und weltlichen Würden-
träger, der Gelehrten, Dichter, Diplomaten und Musiker zu versammeln, von denen
nur der Kardinal Bernardo Dovizi da Bibbiena, der Venezianer Pietro Bembo, den
später gleichfalls der Kardinalspurpur schmückte, und der Graf Baldessar Castiglione
genannt sei, der diesen Abenden in seinem „Cortegiano" ein unvergängliches Denk-
mal gesetzt hat. Wir dürfen wohl annehmen, daß auch der junge Raffael an dem
eleganten und geistvollen Hofe verkehrte, wo man über die „doti del perfetto
cortegiano" und über die „perfetta donna di palazzo" diskutierte und mit gleichem
Scharfsinn auch ernsteren Lebensproblemen nachging. Raffael war damals ein
Künstler von Ruf und Rang, und sein Vater Giovanni Santi hatte, wie schon seine
„Cronaca rimata" und das Festspiel bei der Vermählung Guidobaldos mit Elisabetta
beweisen, gute Beziehungen zum Hofe unterhalten. Und wenn auch der Brief als
apokryph bezeichnet werden muß, in welchem Giovanna Feltria, die Schwester des
Herzogs, den jungen Raffael an den Gonfaloniere von Florenz, Pier Soderini,
empfahl, so ist dagegen sicher authentisch jener in der vatikanischen Bibliothek
bewahrte Brief Raffaels an seinen Oheim Simone Ciarla, in welchem er sich als des
Herzogs „anticho servitore e famigliare" bezeichnet hat2). Es ist sehr wahrscheinlich,
daß er während dieses kurzen Aufenthaltes in der herzoglichen Residenz im Auftrage
seines kunstsinnigen Landesherrn ein Bildnis eines Knaben in fürstlicher Tracht
schuf, das im Palazzo Pitti bis vor Kurzem den Namen Giacomo Francia trug und
durch Gronau zum ersten Male Raffael zugeschrieben worden ist"). Aus unver-
öffentlichten Inventaren gibt Gronau den wichtigen Hinweis, daß dieses Porträt zu
den Kunstschätzen der Herzöge von Urbino gehört hat und mit ihnen 1631 nach
Florenz gekommen ist.
Schon Durand-Greville4) hatte die Vermutung ausgesprochen, daß wir hier das
Porträt des jungen Thronfolgers, Francesco Maria della Rovere vor uns haben, der

(1) S. Adamo Rossi in Giornale di Erudizione Artistica, Nuova Serie, 1883, Heft 1, p. 8 —10.

(2) Mus. Borg. P. F.

(3) op. cit. p. 222, Abb. S. 16.

(4) Revue de 1'Art ancien et moderne, 1905, p. 377—386, mit Varianten, kürzer gefaßt, in Angers-
Artiste, 1906.

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