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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 4.1911

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ungewiss, weil es bisher nicht gelungen ist, das Aktenstück über die Erteilung des
Auftrages zu finden. Immerhin ist es wahrscheinlich, daß man sich bald dazu ent-
schloß, da die Arbeiten am Cambio sich ihrer Vollendung näherten und Pietro sich
vielleicht mit dem Gedanken trug, gleich nach der Fertigstellung der Cambiofresken
seine Tätigkeit in Florenz wieder aufzunehmen. In den nächsten Jahren fuhr die
Brüderschaft fort, Gelder zu sammeln. Am 3. November 1500 erhielt sie vom
Magistrat zu Perugia wiederum eine Unterstützung von 15 Fiorini „pro pictura et
ornamento tabule pingende", und am 25. Juni 1503 faßte der Magistrat den Beschluß,
daß der Restbetrag einer gewissen Summe entweder für das Gitter der Kapelle oder
für den Altar, oder aber für das Altarbild zu verwenden sei. Einem von uns im Peru-
giner Notariatsarchiv aufgefundenen Testament des Kaufmanns Paride di Baldassarre
di Paolo Petrini vom 26. Dezember 1503 entnehmen wir die interessante Tatsache,
daß damals das Sposalizio noch nicht vollendet war, denn Paride Petrini hinterläßt
der Confraternitä di S. Giuseppe 5 Fiorini, welche Perugino erst nach Vollendung
des Bildes zu zahlen sind: „pro solvendo magistro Petro pictori de Perusio pro
pictura tabule Capelle dicte Fraternitatis solvendos tunc quando ditta tabula perfecta
fuerit et non ante, videlicet dicto magistro Petro seu alteri magistro qui eam perfecerit".
Aus dem mitgeteilten Nachrichtenmaterial ergibt sich also, daß vor dem 11. April 1499
das Bild nicht begonnen sein konnte und daß es gegen Ende des Jahres 1503 noch
nicht vollendet war. Des weiteren folgt daraus, daß Raffaels Sposalizio, das laut
Inschrift 1504 vollendet wurde, fast gleichzeitig mit dem Sposalizio seines Meisters,
und vielleicht in der Werkstätte und unter den Augen desselben entstanden ist.
Ein Vergleich der beiden Gemälde zeigt sofort, daß Peruginos Sposalizio die
ältere, altertümlichere Redaktion des Themas ist. Ähnlich wie in dem Fresko der
Schlüsselübergabe sind hier die handelnden Personen am vorderen Bildrande in
gleicher Größe aufgereiht. Raffael dagegen läßt seine Figuren schon in der zweiten
Reihe kleiner werden, stellt die beiden Hauptpersonen um und rückt sie weiter
auseinander, so daß der Vorgang deutlicher wird, läßt den Priester, der bei Perugino
als vertikale Mittelachse wirkt, durch eine leichte Bewegung seines Oberkörpers
die Bewegung Mariens begleiten, vereinigt die Zahl der Zuschauer, die er ebenfalls
umgestellt hat, so daß links die Frauen, rechts die Männer stehen, zu Gruppen,
schafft aus der Gestalt des stabbrechenden Jünglings, die bei Perugino unter den
Begleitfiguren fast verschwindet, eine höchst wirkungsvolle Kontrastfigur, welche
die Symmetrie aufhebt, und gibt schließlich in dem hübschen Zentralbau, der die
Komposition zusammenfaßt, eine Linie, welche dem halbrunden oberen Abschluß
des Bildes besser entspricht, als die durch den Rahmen abgeschnittene Halbkuppel
Peruginos.
Nach dem oben gesagten ist es eigentlich überflüssig, zu betonen, daß wir uns
Berensons Ansicht, so geistreich sie auch vorgetragen ist, durchaus nicht anschließen
können. In der Komposition, in der Formengebung, in der klaren Umrißzeichnung,
in der Behandlung des Faltenwurfes, in der Zeichnung der Köpfe und der Hände
finden wir die charakteristischen Eigentümlichkeiten der gesicherten Werke Peruginos
wieder. Es erscheint auch ganz unglaubhaft, daß der Meister ein Bild, das für die
vornehmste Kapelle der Stadt bestimmt war, einem Schüler hätte anvertrauen dürfen.
Bis zum Jahre 1798, der Zeit der französischen Invasion, prangte das Sposalizio
auf seinem Altar in S. Francesco zu Cittä di Castello 9. Um die Stadt vor einer
(1) Magherini-Graziani publiziert in seiner mehrfach erwähnten Abhandlung zwei interessante Briefe
aus dem Florentiner Staatsarchiv, aus denen hervorgeht, daß schon 1571 Herzog Guidobaldo von
Urbino den (vergeblichen) Versuch machte, das Sposalizio für seine Galerie zu erwerben.

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