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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 4.1911

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seit dem Eindringen der Jesuiten (1554) wurden zunächst langsam, dann schnell
größere Gebietsteile für die alte Lehre zurückgewonnen. Die Gebrüder Beham
haben in jenen oft zitierten Verhandlungen vor dem Nürnberger Rat am klarsten
für uns erkennbar und ganz einwandfrei die wirtschaftliche Lage der Künstler in
dieser Zeit gekennzeichnet. Es hieß einfach, neue Erwerbsquellen öffnen. Zuerst
suchte man aus der religiösen Bewegung im Streit und Widerstreit Gewinn zu
ziehen — nach alter Art; dann aber wandte sich alle Erfindungsgabe der Ausge-
staltung der Genre-, Portrait- und Landschaftsmalerei zu.
Das Reformationszeitalter gebar, kann man sagen, die Genremalerei. Allerdings
hat das ganze Mittelalter einen Blick auf die tägliche Umgebung geworfen, aber
verhältnismäßig selten und zerstreut. Jetzt wird ziemlich rasch und konzequent
die Genremalerei in weitem Umfange in den Kreis der Beobachtungen hineinge-
zogen. Zuerst greifen die Künstler nur einzelne Szenen heraus, um allmählich das
ganze Tun und Treiben des Werk- und Feiertages, vornehmlich in Darstellungen
aus dem „malerischen" Volksleben, zu behandeln. An die Seite des Genre tritt die
Schilderung der Landschaft. Der Pinsel wurde allerdings seltener für derartige
Motive in Tätigkeit gesetzt, häufiger mußte der Stichel seine Dienste leisten. Der
Grund dürfte ebenfalls in erster Linie in finanziellen Erwägungen zu suchen sein.
Ein Kupferstich ist schneller und billiger herzustellen, auch weit gewinnbringender
zu verwerten. Diese Technik hat überhaupt wohl die Einkehr ins Volkstum, die
Erschließung neuer Erwerbsquellen befördert; denn sie ähnelt ja in nicht geringem
Maße der Studie, und zweifelsohne hatte das Genre wie die Landschaft früher eine
Unterkunft in der Studienmappe, als auf dem Tafelbilde gefunden. Wir wissen, daß
die Stiche wie die Schnitte in großen Mengen in Deutschland vertrieben wurden.
Durch die Erfindung der Ätzkunst wurde die Verwendung dieses Erwerbsmittels
später noch mehr erleichtert. Ähnliches gilt für die Bildhauer, insofern auch diese
in vordem unbekanntem Maße der Kleinkunst ihre Aufmerksamkeit zuwandten.
Wenn die neue Zeit dergestalt die Künstler zu neuen Stoffen drängte und Lebens-
verhältnisse wie Dinge wertvoll erscheinen ließ, die vordem wenig beachtet wurden,
so zwang sie die bildenden Künstler auch noch in anderer Hinsicht, weiter Um-
schau zu halten. Im allgemeinen waren dem Maler und Bildhauer im Mittelalter
für die Wahl seiner Stoffe die Wege gewiesen. Jetzt tritt zum ersten Male die
moderne Jagd auf Motive hervor, und damit trennt sich auch rein äußerlich das
Zeitalter der Reformation von der vorangehenden Periode. Hatten die Künstler
bis dahin vollauf Zeit gehabt sich immer von neuem in einen Stoff, eben die christ-
liche Legende, zu versenken, und konnten sie deshalb dahin gelangen, ihn schließ-
lich ganz auszuschöpfen (wie es Dürer getan), so eilte jetzt der Sinn, das Auge
von einem Vorwurfe zum andern. Zweifelsohne ist dadurch insofern eine gewisse
Schädigung gebracht, als die intime Ausgestaltung der Kunstwerke etwas zurück-
gedrängt, der Mode Tür und Tor geöffnet wird. Auch fehlt die Möglichkeit, sich
in großen Gemälden künstlerisch zu entlasten, den Formensinn in größerem Maß-
stabe zu entwickeln. Im späteren Verlaufe sucht man sich zu entschädigen, indem
man die Historienmalerei wieder in Angriff nimmt. Jetzt aber wählt man die Stoffe
aus den geschichtlichen Partien des Alten Testamentes oder illustriert einzelne
Abschnitte des Evangeliums; man geht also zu einer Art profan-religiöser Historien-
malerei über, deren letzte Wurzeln, wie man weiß, bis zu Holbein zurückreichen.
Überall finden wir das Fundament für das XVII. Jahrhundert bereitet. In Hin-
blick auf die berührten künstlerischen Themata steht das XVI. zum XVII. Jahr-
hundert wie das XV. zum XVI. Säkulum da — vorbereitend. Das Reformations-

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