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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 4.1911

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rippigem, gelbgetöntem Papier, nicht datiert, noch
signiert, sondern die einzige Aufschrift, freilich
aus späterer Zeit, lautet: „de mano de dominico
greco". Die Zeichnung ist quadriert, also ist kein
Zweifel an ihrer Absicht möglich. Sie ist Vor-
studie zu dem Tafelbild im Retabel von Santo
Domingo el Antiguo zu Toledo vom Jahre 1578,
das freilich in einigen Motiven geändert ist. (Vgl.
Kopfhaltung1), Lage der rechten Hand.)
Eine Frontalfigur, stehend, in einen langen Man-
tel gehüllt, hält in der Linken ein gewaltiges,
aufgeschlagenes Buch. Die rechte Hand ruht am
Mund und deckt den langfließenden, geteilten Bart.
Kopf und Augen sind gesenkt. Es soll tiefer,
nachdenkender Ausdruck gegeben werden. Eine
seltsam geniale Zeichnung! Etwas Denkmalartiges
steckt in dieser Gestalt, und doch hat sich die
„Gelenkkunst" nicht recht ausgesprochen. Zwar
sind die Kniee betont, aber es kostet Mühe, bis das
Auge die im Ärmelbausch versteckt liegenden
Ellenbogen ermittelt hat. Nicht breit und fest
steht eine Grecofigur. Sie schwebt mehr, als daß
sie steht und scheint über die kahlen Höhen To-
ledos hinzuzittern. Aller Blick konzentriert sich
nach oben, wohin auch der Adler schaut, auf
Kopf, Hände und Buch! Daß Greco Michel-
angelo im Bewußtsein hat, — von ihm konnte er
auch lernen, wie man riesige Folianten einer Figur
in die Hände lege, — zeigt sich vor allem in der
Behandlung des rechten Armes, in der Handge-
lenkbetonung und -biegung. So kommt Linien-
fluß und Linienweiterführung zustande. Den
linken Unterarm hat Greco tiefgeschoben, dadurch
gewinnt er Platz, um das schwere Buch mit der
vergeistigten, linken Hand einzuführen. Das Haupt-
format des Bildes verlangt nach Gegenwirkung,
die sich aber nicht etwa in der Horizontale, son-
dern in Diagonalen ausspricht. Die Diagonalen
des rechten Armes und Buches bekommen erst ihre
volle Kraft in dem großen, weiten Mantel, der
schwungvoll zusammengezogen ist, und dessen
Hauptzipfel neben dem rechten Fuß aufsitzt.
Mit frischen, saftigen Bleistiftstrichen, in stür-
mischem Tempo, in grandioser Sicherheit, ohne
einen Augenblick des Zögerns ist diese Figur ge-
zeichnet worden. Daß sie nicht unmittelbar nach
dem Modell, sondern mehr nach dem Gefühl ent-
standen sein muß, sagt schon der erste Blick.
Nichts Kleinliches, alles ist groß gesehen und breit
behandelt; in ein paar Andeutungen steckt mehr als
die Vielheit der Einzelheiten in der vorangegangenen
Epoche, auch wenn sie zur Einheit gebracht sind.
1) Abb. bei Cossio, Taf. 20.

Es muß noch gesagt werden, wer diese Figur ist.
Sie trägt den Charakter eines griechischen Philo-
sophen. Wir denken an den Apostel Paulus und
irren. Greco hat sich hier, wie so oft, byzantinisch-
griechischer Ikonographie bedient. Der Byzantiner
stellt in der Regel Johannes den Evangelisten als
Greis mit weißem, langwallendem Barte dar, adler-
näßig und mit kahler Stirne1). Es ist andere
Vorstellung als im Abendlande, das bis auf wenige
Ausnahmen den Lieblingsjünger des Herrn bart-
los, jugendlich gebracht hat. Hugo Kehrer.
Malereien in der Deutschordens-
kirche zu Frankfurt-Sachsenhausen.
Die Nachricht, die vor kurzem durch die Presse
ging, daß in Frankfurt umfangreiche und bedeu-
tungsvolle Wandmalereien Dürers aus den letzten
Lebensjahren des Künstlers aufgedeckt worden
seien, ist sicherlich von keinem Kunsthistoriker
ernst genommen worden. Immerhin mag es ge-
rechtfertigt sein, ein kurzes Wort über die zu so
ephemerem Ruhm gelangten Malereien zu sagen.
Als vor einigen Monaten sich der Frankfurter
Maler Ballin der Aufgabe unterzog, die Sakristei
der Kirche mit ornamentalen Malereien auszu-
schmücken, zeigten sich unter der Tünche Spuren
ehemaliger Bemalung. Die Farbe war fast völlig
geschwunden, doch waren die Konturen noch in
eingeritzten Linien, die Modellierung zum Teil in
dem Auf- und Abschwellen der Fläche für den ge-
übten Restaurator wahrnehmbar. Die Wiederher-
stellung der Fresken bestand nun darin, daß die
dünne Schicht Tünche entfernt und die Konturen
mit brauner Farbe gefüllt und damit sichtbar ge-
macht wurden. So sind bisher zwei Kompositionen
zum Vorschein gekommen, auf der Südseite der
Sakristei eine Krönung der Maria durch Gott Vater
und Gott Sohn (die Sakristei war ursprünglich eine
Marienkapelle), auf der Nordseite eine Maria in der
Mandorla auf einer Engelwolke, darunter ein
von zwei Engeln an seinem Stamme wie schützend
gehaltenen Rosenbusch, zur Rechten ein heiliger
Georg, zur Linken der heilige Christoph. Die
Malereien sind, ihrem Erhaltungszustande ent-
sprechend, nur in ihrem kompositionellen Gesamt-
charakter zu beurteilen, und da zeigt es sich auf
den ersten Blick, daß wir es mit einem völlig un-
selbständigen Dürerkopisten etwa um 1520 zu tun
(1) Vgl. Homilie des Gregor von Nazianz, Paris, Nat.-Bibl.
Nr. 510, fol. 87 — 72 v.; Vatikanische Prophetenhandschrift
Nr. 1153, fol. 4v.; vgl. Comte Alexis Ouvaroff: „Album By-
zantin". Moscou 1890, p. 94. N. Kondakov: „Denkmäler
der christlichen Kunst auf Athos". S. Petersburg 1902. Joh.
Ev. Mosaik im Kloster Laura des hl. Athanasius, Taf. XXXIV,
Taf. XLVI.

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