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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 9.1916

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Semrau, Max: Zu Nikolaus Goldmanns Leben und Schriften, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.69938#0476
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tische Berechnung begründet würde. So artete die literarische Behandlung dieser
Fragen oft genug in ein mathematisches Formenspiel und pedantische Haarspal-
terei ohne praktischen Nutzen aus, zumal noch unfruchtbare Prioritäts- und
Systemstreitereien hinzukamen. Im Beginn des 18. Jahrhunderts galten die
Festungstheoretiker, unbeschadet der damaligen Theologen, fast als die rauf-
lustigste Kategorie unter den Literaten1).
Goldmanns Schrift über Befestigungskunst — II ist nur die wenig ver-
änderte französische Ausgabe von I — fällt noch in die Anfänge dieser Periode,
aber auch von ihr gilt, daß sie vorwiegend theoretischen Charakters ist. Sie legt
das Hauptgewicht auf die geometrische, stereometrische und arithmetische Be-
rechnung und ihre Erläuterung durch Zeichnungen und Tabellen2). Goldmann
war durch seinen Lehrer Franz van Schooten (s. oben S.352) ein Enkelschüler
Simon Stevins (1584—1620), des Vaters der niederländischen Manier im Be-
festigungswesen3). Seine Absicht ist offenbar, gegenüber weitverbreiteten Hand-
büchern der Zeit, die den praktischen Gesichtspunkt voranstellten 4), die wissen-
schaftliche Grundlegung zu sichern. „Mihi vero“, sagt er (S. 152) „in supputa-
tionum pulvere digladianti firmiori talo standum erat, tali praecipue, qui demon-
strationum fundamentis radicitus inhaereret.“ Er verhehlt sich nicht, daß die
Praxis des Ingenieurs im Felde ihm oft nicht gestatten wird, solche Rechnungen
anzustellen, betont aber auch mit Recht, wie wichtig sie für die Veranschlagung
von Zeit und Kosten der Ausführung immer sein werden5). Und so nimmt er für
sich in Anspruch, einem wirklichen Zeitbedürfnis zu dienen und insbesondere
seinem Adoptivvaterlande, den Niederlanden: „Ideo enirn scientiam trado, ut in
Republica versanti ornamento sit, in pace decus, in bello praesidium; non ut
ludum geometricum aperiam“6). |
(1) Vgl. hierzu Μ. Jähns, Geschichte der Kriegswissenschaften (Gesch'. d. Wissenschaften
in Deutschland XXI.) S. 1702 ff. und G. Schröder in Beilage zum Militär-Wochenblatt
1884, S. 208 u. 226, der u. a. Sturm als den Typus eines dieser „Stuben- und Reiß-
brettingenieure“ hinstellt.
(2) Vgl. Jähns a. a. O. S. 1124: „Neue Gesichtspunkte werden nirgends aufgestellt, wohl
aber bietet die Arbeit die sorgfältigste und eingehendste mathematische Begründung.“
(3) Jähns a. a. ÖL I S. 839, II S. 1005.
(4) Solche waren vor allen die ,Fortification ou architecture militaire‘ von Samuel
Marolais (Haag 1615) und die „Architectura militaris“ von Adam Freytag aus Thorn
(Leyden 1630), beide gleichfalls von Mathematikern verfaßt und in zahlreichen Auflagen
verbreitet; Goldmann verweist gelegentlich darauf zur Ergänzung seiner eigenen Aus-
führungen. Gleichzeitig mit seinem Werke erschienen die „Architectura militaris“ von
Andreas Cellarius„der Mathematischen Kunst Liebhabern“, Amsterdam 1645 und das
„Specimen problematum Hercotectonico-Geometricorum“ des obenerwähnten Christian
Otter, Amsterdam 1646. Man sieht, wie lebhaft die literarische Produktion auf diesem
Gebiete und gerade in den Niederlanden war.
(5) Daß „Mathematiker“ auch im Ernstfälle Verwendung fanden, geht wohl aus einer Stelle
in D. S. von Buchs Tagebuch, hersg. v. F. Hirsch II, S. 122 hervor: Bei der Belagerung
Stralsunds durch den Großen Kurfürsten i. J. 1678 wird ein Mathematiker Tallier entlassen
und sofort ein anderer Le Maistre angenommen.
(6) a. a. O., S. 275: Die Theorie des Befestigungswesens spielte in dem Kavalierunterricht
der Zeit eine große Rolle und es ist möglich, daß auch Goldmanns Werk aus seiner
Lehrtätigkeit hervorgegangen ist; in der Vorrede erwähnt er selbst die Beihilfe „nobilis-
simorum quorundam commilitonum“ bei den Berechnungen und Zeichnungen. Aber das Ur-
teil des geistreichen Prince de Ligne (bei Jähns a. a. O. S. 1125) über Goldmann und
Cellarius: „Trop Mathematiciens! Ce sont des maitres de Fortification ä gagner un Louis
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